Woher kommt der Name „Wüstenrot“? Wie kam die Idee des Bausparens nach Österreich? Und was hat das mit einem großen Koffer zu tun? Um die Entstehung von Wüstenrot und die Idee des Bausparens ranken sich viele Geschichten. Wir gehen auf Spurensuche.
„Jeder Familie ihr Eigenheim“ lautet die berühmte Parole von Wüstenrot Gründer Georg Kropp. Um heute jedoch verstehen zu können, weshalb ein Eigenheim damals so wichtig war und warum er damit ein Grundbedürfnis der Bevölkerung erkannte, müssen wir die Zeit über 100 Jahre zurückdrehen: Wir reisen ins Jahr 1921, in eine Zeit großer wirtschaftlicher Unsicherheit, Nachkriegszeit und Zwischenkriegszeit, eine Zeit der Hyperinflation. Auf der Suche nach Arbeit strömen die Menschen in die Städte und treffen auf Wohnungsnot, horrende Mietpreise und unhygienische Verhältnisse. Während mehrköpfige Familien generationenübergreifend in nur einem Zimmer hausen, können sich andere überhaupt keine Wohnung leisten. Sie mieten als „Bettgeher“ stattdessen eine Schlafstätte, die sie mit mehreren Menschen teilen. Wer Glück hat, findet eine „Bassena-Wohnung“, bei der fließendes Wasser immerhin am Gang zu finden ist und nicht nur im Hof, wie sonst üblich. Zu dieser Zeit wohnen die Menschen zwar in ihren Wohnungen, doch leben sie nicht darin. Im Gegenteil: Das Leben findet draußen statt – auf der Straße, im Wirtshaus, an öffentlichen Plätzen.
Für Wüstenrot Gründer Georg Kropp war das Bausparen die Lösung für die Wohnungsnot. Doch wie lebten die Menschen damals? Konnte ein Eigenheim dem Elend tatsächlich Abhilfe schaffen? Und wie entwickelte sich das Wohnen weiter?
Wir sprachen mit Historiker Gerhard Halusa vom Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum in Wien über die Hintergründe, historischen Entwicklungen und die Idealform des Wohnens.
100 Jahre Wohnen: „Wohnhistoriker“ Gerhard Halusa im Gespräch
All diese Zustände beobachtet der deutsche Publizist, gelernte Drogist und Naturliebhaber Georg Kropp mit wachsender Besorgnis. Sein Drang, etwas dagegen zu unternehmen, wächst. Als passionierter Weltverbesserer schreibt er seine Vision 1920 in dem Buch „Aus Armut zum Wohlstand“ nieder – und verewigt darin die Idee des Bausparens: Durch gemeinsames und stetes „Zwecksparen“ soll den Mitgliedern der Bausparkasse die Errichtung von Eigenheimen ermöglicht werden. Für Georg Kropp ist das die Lösung für die unhygienischen und unwürdigen Wohnverhältnisse. Schnell findet Kropp die ersten Anhänger:innen dieser „Eigenheim-Bewegung“ – nicht zuletzt durch seine Redegewandtheit und übersprudelnde Leidenschaft für die Sache. So geschieht es also, dass in Georg Kropps württembergischer Heimat, dem Luftkurort Wüstenrot, im Jahre 1921 „die Gesellschaft der Freunde“ gegründet wird. Und genau diesem Ort verdankt die Wüstenrot ihren Namen, den sie bis heute trägt.
Jeder Familie ihr Eigenheim.
Entdecke HIER alles zum großen Wüstenrot Jubiläumsjahr:
Mithilfe des Bausparens sollten weniger privilegierte Bürger:innen die Chance bekommen, durch stetes Ansparen nach einer gewissen Zeit einen Kredit zum Bau eines eigenen Hauses zu erhalten. Wer die Zuteilung dafür erhält, wird in den Anfängen noch dem Zufallsprinzip überlassen: Die Namen der Bausparer:innen landen in einem Suppentopf, danach wird gezogen. Das Los entscheidet also, wer mit dem Bau eines Hauses beginnen darf. Als Inspirationsquelle liefert Wüstenrot in Form der Zeitschrift „Mein Eigenheim“ Grundrisse und Abbildungen von Musterhäusern und beauftragt dafür zum Teil namhafte Architekt:innen wie Margarete Schütte-Lihotzky. Diese Pläne verdeutlichen, dass mit wenig Geld durchdachte Eigenheime geschaffen werden können, die den Baugrund optimal nutzen und am Puls der Zeit sind. Ein zentrales Anliegen, denn Bausparer:innen sind zu dieser Zeit vor allem Familien aus dem Mittelstand, die kein Geld für die Beauftragung von Architekt:innen aufbringen können. Wichtiger Bestandteil der Planung ist von Anfang an der eigene Garten – nicht nur um die Freizeit im Grünen zu verbringen, sondern auch um sich selbst versorgen zu können.
Man überlegte sich zu dieser Zeit, wie die Arbeiter:innen ihre Zukunft am besten selbst gestalten können. Es war eine Art Bildungsauftrag, damit diese Bevölkerungsteile unabhängiger werden. Mit dem kleinen Häuschen konnten sie selbst dafür sorgen, dass ihnen an nichts fehlt. Und natürlich sollte auch ganz allgemein die Versorgungslage verbessert werden.
Das Bausparen richtet sich also bereits zu Beginn an die breite Bevölkerung und trifft den Nerv der Zeit. Immer mehr Menschen schließen sich in Deutschland der Bewegung an, und so ist es nicht verwunderlich, dass auch die Österreicher:innen davon erfahren. Das Interesse ist groß – so groß, dass ein Mitarbeiter Kropps im Herbst 1925 einen großen Koffer voller Werbematerialien packt und sich auf die Reise nach Salzburg macht. Warum ausgerechnet Salzburg? Auch darüber gibt es die eine oder andere Legende, doch Fakt ist: Entscheidend ist wohl die geografische Nähe zu Deutschland. Zudem ist Georg Kropp damals der Meinung, dass ein ländlicher Raum mehr Potenzial für die „Eigenheim-Bewegung“ birgt als eine Großstadt wie Wien.
Womit die Wüstenroter, wie sich die Gemeinschaft damals selbst nennt, nicht rechnen: Der kleine Nachbar Österreich hat riesiges Interesse an der Bauspar-Idee. Schnell werden die unzähligen Einzelgespräche zu viel für eine Person, es bedarf einer größeren Informationsveranstaltung: So geschehen am 30. November 1925, als rund 200 Interessent:innen sich im Kurhaus Salzburg (heute Paracelsusbad) versammeln, um alles über das Bausparen zu erfahren. Während die Grundidee seit ihrem Beginn gleichgeblieben ist, ändert sich nun die Art der Darlehenszuteilung: Der Suppentopf darf wieder seiner ursprünglichen Funktion in der Küche nachgehen und die Zuteilung erfolgt ab diesem Zeitpunkt nach einem „Schlüsselzahlsystem“ bzw. „Zeit-mal-Geld-System“. Damit verkürzen sich auch die Wartezeit auf die Zuteilung und die Dauer der Zinsentilgung. Mit den ersten Informationsveranstaltungen wird der Baustein zur Gründung der österreichischen Zweigstelle von Wüstenrot gelegt. Sie markieren außerdem die Geburtsstunde des Bausparens in Österreich.
Von Anfang an sind die Österreicher:innen also Feuer und Flamme für die neue Idee des Bausparens. Die Infoveranstaltungen sind bestens besucht, das Interesse reißt nicht ab. Und so gründet Wüstenrot bereits 1926 eine eigene österreichische Abteilung – sozusagen eine österreichische Bausparkasse innerhalb der Gesamtbausparkasse mit eigenem Team. Dies wird 1929 mit der Gründung der österreichischen Bausparkasse GdF Wüstenrot in der Rechtsform einer Genossenschaft auch offiziell besiegelt. In diesen Jahren wächst die Anzahl an Bausparer:innen rasant, bereits 1926 wird in Österreich das erste Wüstenrot Eigenheim errichtet, bis 1929 werden insgesamt 1.000 Bauspar-Häuser gebaut. Um dem Andrang gerecht zu werden und die Idee auch in die anderen Bundesländer zu tragen, stellt Wüstenrot in Österreich bald weitere Mitarbeiter:innen ein. Die ursprünglichen Büroräume werden allmählich zu eng und die neu gegründete Genossenschaft braucht einen adäquaten Hauptsitz – also übersiedelt das Team 1930 in das Verwaltungsgebäude in der Salzburger Auerspergstraße 7. Dies soll die erste offizielle Zentrale in Österreich bleiben – bis diese 1968 am heutigen Standort in der Alpenstraße 70 neu errichtet wird (mehr dazu in einem späteren Blog-Artikel).
Auch wenn sich Wüstenrot seit diesen ersten Jahren stetig entwickelte, so blieb die Idee in ihren Grundzügen gleich und wurde über die Jahrzehnte lediglich modernisiert. Doch das Fundament für das Bausparen in Österreich wurden 1925 gelegt – und mit ihnen jene für eine 100-jährige Erfolgsgeschichte.
Als erste Bausparkasse in Österreich leistet Wüstenrot seit 1925 einen wichtigen Beitrag zur Schaffung von Wohneigentum.
Entdecke hier unsere Artikelserie zu "100 Jahre Wohnen", die sich mit der Entwicklung des Wohnens im Laufe von 100 Jahren beschäftigt:
100 Jahre Eigenheim – die kurze Geschichte des Einfamilienhauses
100 Jahre Wohnzimmer - das Zentrum des Familienlebens
100 Jahre Kinderzimmer - Trends von früher bis heute
100 Jahre Esskultur - eine kleine Kulturgeschichte der Ernährung und des Essens