Grafik zur Tischkultur mit Teller, Gläsern und Besteck
100 Jahre Wohnen

100 Jahre Esskultur – eine kleine Kulturgeschichte der Ernährung und des Essens

Gegessen wird immer. Doch in 100 Jahren hat sich das Essen in Österreich völlig gewandelt. Wir unternehmen eine kulinarische Zeitreise und schauen uns Essgewohnheiten und Küche im Wandel der Zeit an. Erfahre, wie die Österreicher früher gegessen haben, was und mit wem.

Lesedauer: 10 Min.
Frau kocht und junge isst auf einer Bank
Auch am Land lebt man einfach und sparsam, Bauernküche Anfang des 20. Jh. © Peter_Scherer

1920 bis 1950: Brot und Kartoffeln in der Küche

Das Essen spielt im Familienleben der einfachen Leute in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine wichtige Rolle. Zu festen Essenszeiten kommen oft mehrere Generationen zusammen. Die Küche ist der zentrale Raum in den Haushalten. Hier wird gekocht und gegessen, im Winter sorgt der Herd für Wärme. Ein separates Esszimmer können sich nur wenige Wohlhabende leisten.

Gekocht wird auf Holz- oder Kohleherden, in manchen Regionen auch noch über offenem Feuer. Alles wird von Hand erledigt. Mechanische oder gar elektrische Küchengeräte sind noch kaum vorhanden.

Ein großer Teil der Österreicher lebt in bescheidenen Verhältnissen oder gar in Armut. Besonders in Krisenzeiten wie während der Weltwirtschaftskrise (1929–1933) oder nach den beiden Weltkriegen herrscht Not.

Die Mahlzeiten müssen vor allem nahrhaft und sättigend sein, um Energie für harte körperliche Arbeit zu liefern. Der Speisezettel ist vom regionalen und saisonalen Angebot geprägt. 

Brot und Kartoffeln sind zentrale Bestandteile der Mahlzeiten. Dazu kommen Milchprodukte und Gemüse wie Kohl, Rüben oder Karotten. Fleisch wird kaum und meist nur in Form von Suppenknochen, Speck oder Wurst zur Verfeinerung von Gerichten verwendet.

Beliebt sind Suppen und Eintöpfe, für die man wenig Zutaten braucht: Linsensuppe, Bohneneintopf oder Krauteintopf. Pfannkuchen, Grießbrei oder einfache Strudel sind sättigende und günstige Süßspeisen.

Lesetipp: Artikelserie "100 Jahre Wohnen"

 

Als erste Bausparkasse in Österreich leistet Wüstenrot seit 1925 einen wichtigen Beitrag zur Schaffung von Wohneigentum. 

Entdecke hier unsere Artikelserie zu "100 Jahre Wohnen", die sich mit der Entwicklung des Wohnens im Laufe von 100 Jahren beschäftigt:

 

100 Jahre Eigenheim – die kurze Geschichte des Einfamilienhauses

100 Jahre Wohnzimmer – das Zentrum des Familienlebens

100 Jahre Kinderzimmer - Trends von früher bis heute

100 Jahre Gartengeschichte - der Garten früher und heute

100 Jahre Elektrogeräte – die Revolution im Haushalt

Familien am essen
Brot und Kartoffeln: Bauernstube 1920, Familie bei Essen 1952, Foto rechts: Deutsche Fotothek © roesing

Selbstversorgung auf dem Land

Auch am Land ist die Küche der zentrale Raum des Hauses. Hier versammelt sich zu den Mahlzeiten die Großfamilie. Auf größeren Höfen essen auch Knechte, Mägde und Saisonarbeiter mit der Familie. Während der Erntezeit wird direkt auf dem Feld oder in der Scheune gegessen. Die Mahlzeiten werden in Körben oder Behältern dorthin gebracht.

Es gibt mehr Obst, Gemüse und selbst produzierte Nahrungsmittel als in der Stadt. Doch auch am Land lebt man einfach und sparsam. Bauernfamilien ernähren sich fast ausschließlich von dem, was sie selbst produzieren. Brot wird selbst gebacken. Lebensmittel werden eingelagert oder eingemacht, um den Winter zu überstehen. Auch viele proletarische Familien betreiben in ländlichen Gebieten kleine Gärten, um sich selbst zu versorgen. 

Fleisch ist ein Luxusgut, das meist nur an Feiertagen oder Sonntagen auf den Tisch kommt. Um es haltbar zu machen, wird es zu Speck, Wurst oder Geselchtem verarbeitet. Gerne werden Hühner gehalten. Die liefern Eier und werden hin und wieder geschlachtet.

Zwei Bilder von Esszimmern
Foto links: Esszimmer 1924 © Waldemar_Titzenthaler

Gehobene Tischkultur im Bürgertum

Das wohlhabende Bürgertum speist in einem separaten, repräsentativen Esszimmer. Dabei wird auf gehobene Tischkultur Wert gelegt, es gibt festgelegte Abläufe mit mehreren Gängen. Essenseinladungen für Gäste sind üblich. Sie geben den Gastgeber:innen die Gelegenheit, durch raffinierte Speisen, Tischdekorationen, Porzellan und vorbildliche Bewirtung ihren sozialen Status zu demonstrieren.

Der Kaffee am Nachmittag, das „Kaffeekränzchen“, ist ein fester Bestandteil der bürgerlichen Kultur. Oft wird der Kaffee mit Mehlspeisen serviert.

Für die Zubereitung der Mahlzeiten werden Köchinnen oder Küchenhilfen beschäftigt. In den bürgerlichen Küchen halten seit den 1920er-Jahren die ersten Elektrogeräte wie Kühlschränke, Mixer oder elektrische Herde Einzug.

Die Ernährung des Bürgertums ist reichhaltig und vielseitig, Fleisch ist ein zentraler Bestandteil. Besonders beliebt: Rind, Kalb und Wild. In den 1920er-Jahren gibt es erste Trends hin zu einer gesunden Ernährung und zu Naturkost. Gleichzeitig bleiben üppige Speisen und Genussmittel zentrale Bestandteile des bürgerlichen Lebens.

Weihnachtessen einer Familie
Weihnachtessen in den 1950er-Jahren

Die „Fresswelle”

Nach den entbehrungsreichen Kriegs- und Nachkriegsjahren wächst in den 1950er- und 1960er-Jahren der Wohlstand. Mit ihm verbreitet sich ein bürgerlicher Lebensstil. Und zu dem gehört die Trennung von Küche und Essbereich. Immer mehr Haushalte leisten sich ein Esszimmer. Der Standard ist das Essen in der Kernfamilie mit Eltern und Kindern. Allenfalls am Sonntag kommt ein weiterer Familienkreis zusammen.

Gekocht wird bis in die 1970er-Jahre überwiegend zu Hause von der Hausfrau. Hausangestellte hat kaum noch jemand. Neben der wachsenden Auswahl an Fertiggerichten erleichtern Gas- oder Elektroherde, Kühlschränke und elektrische Kleingeräte den Frauen das Zubereiten der Mahlzeiten.

Mit dem Wirtschaftsaufschwung verbessert sich die Versorgungslage. Die Menschen lassen es sich gut gehen, die Ernährung wird üppiger und fettreicher. Fleisch, das zuvor als Luxus galt, wird zum festen Bestandteil des Speiseplans. Auch Wurstaufschnitt, Käse und Butter werden in größerem Umfang konsumiert, weiterhin beliebt bleiben die traditionellen Süß- und Mehlspeisen. Übergewicht wird in den 1960ern zu einem stark diskutierten Thema. Kritisch spricht man von einer „Fresswelle”.

Drei Frauen beim einkaufen
Supermarkt 1970 © Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte, Friedrich Magnussen

Die große Vielfalt

In den 1960er-Jahren etablieren sich Supermärkte, die Vielfalt an Lebensmitteln vergrößert sich. Es gibt mehr Konserven, Fertiggerichten und exotische Früchte. Obst und Gemüse werden aus immer ferneren Ländern importiert.

Die Verbreitung von Kühlgeräten in Privathaushalten verhilft in den 1970er-Jahren Tiefkühlprodukten zum Durchbruch. 

Italienische Restaurants und Urlaubsreisen machen Pizza und Pasta populär. Seit den 1980er-Jahren inspirieren indische und ostasiatische Restaurants den heimischen Speiseplan. Zuwanderer vom Balkan, aus der Türkei und anderen Mittelmeerländern bringen ihre Ernährungsgewohnheiten mit nach Österreich, eröffnen Lebensmittelgeschäfte und Restaurants.

Frau isst am Schreibtisch während sie mit einem Notebook arbeitet.
Esskultur heute: gegessen wird oft zwischendurch und alleine.

Neue Essgewohnheiten

Seit den 1980er-Jahren ist in Österreich die Mehrheit der Frauen berufstätig. Es wird eine größere Beteiligung der Männer an der Küchenarbeit gefordert. Doch die realen Verhältnisse ändern sich nur langsam. Aber immerhin hält die Spülmaschine Einzug in den Küchen und übernimmt einen Teil der Arbeit.

Durch unterschiedliche Arbeits- und Schulzeiten lösen sich die festen Essenszeiten auf.  Zu Hause gekocht wird immer weniger. Steigende Einkommen erlauben es, häufiger außer Haus zu essen. Günstige Fast-Food-Ketten expandieren. In jüngster Zeit verbreiten sich in den Städten Lieferdienste. Außerdem wächst das Angebot an Fertiggerichten. Ab in die Mikrowelle und fertig. Auch in den Familien isst oft jeder für sich und nur zwischendurch. Das geht überall: in der Küche, am Schreibtisch, auf der Couch. Fernseher, Rechner oder Smartphone liefern währenddessen Unterhaltung. Die Zahl der Single-Haushalte wächst, auch in den Familien konzentriert sich das gemeinsame Essen auf die Wochenenden.

Das EsszimmerIm ist neuen Jahrtausend wieder aus der Mode gekommen. Stattdessen ist die offene Küche angesagt, die fließend in den Wohnbereich übergeht. Küchengerüche werden von Dunstabzugssystemen weggesogen. Fristete früher die Hausfrau ein einsames Dasein in der Küche, kann sich die kochende Person jetzt mit anderen Familienmitgliedern austauschen – oder mit Gästen. Das gemeinsame Essen zu Hause wird wiederentdeckt – für besondere Gelegenheiten. Gekocht wird nicht irgendwas, sondern nach anspruchsvollen Rezepten bekannter Kochstars. Kochen wird zum sozialen Ereignis, bei dem man seine kulinarischen Kenntnisse und Künste inszenieren kann. Da sind dann auch die Männer gerne mit dabei. Die im Alltag nach wie vor selten benutzten Küchen werden ästhetisch und technisch immer opulenter ausgestattet. 

Eine Gruppe junger Menschen bereitet in einer offenen Küche eine Mahlzeit vor.
Gemeinsames Kochen und Essen wird zum Ereignis.

Was sollen wir essen?

Gegen Ende des 20. Jahrhunderts wird das Essen zum Problem. Erstmals in der Geschichte werden alle satt. Aber dabei bleibt es nicht, immer mehr Menschen haben Übergewicht.

Zunächst wird eine fettarme Ernährung propagiert, später geraten die Kohlenhydrate ins Visier. Seit den 1980er-Jahren kommen fett- und kalorienreduzierte Light-Produkte auf den Markt. Immer neue Wunderdiäten versprechen eine Rückkehr zur schlanken Linie.

Die Menschen bemerken, dass hinter der Überfülle und der Vielfalt an erschwinglichen Nahrungsmitteln eine industrialisierte Landwirtschaft steht, die durch den Einsatz von Kunstdünger, Pestiziden und Massentierhaltung einen maximalen Ertrag erzielt.

Das führt zu einer Gegenbewegung: Schon in den 1980er-Jahren stellen erste Bauernhöfe auf ökologischen Landbau um. In den vergangenen zwei Jahrzehnten erleben Bio-Lebensmittel einen Boom. In den Städten eröffnen Bio-Supermärkte, auch Discounter nehmen Bio-Produkte ins Sortiment auf.

Statt industriell verarbeiteter Lebensmittel experimentiert man mit „Slow Cooking“, mit  traditionellen Methoden der Zubereitung und Konservierung. Der Wunsch nach einer nachhaltigen Lebensweise führt zu einem starken Interesse an saisonalen und regionalen Produkten.

Die Massentierhaltung wird kritisch diskutiert. Viele Menschen verzichten auf Fleisch und Fleischprodukte, die unter industriellen Bedingungen produziert werden. Zwischen 10 und 15 Prozent der Österreicher ernähren sich heute vegan, vegetarisch oder beschränken sich auf Fisch. Der Verzicht auf Fleisch wird auch durch die Klimaschutzdebatte befördert, denn die wachsende Fleischproduktion ist für einen großen Teil der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich.

Das Ernährungsverhalten wird immer individueller. Zu der Ablehnung von Fleisch oder tierischen Produkten gesellt sich eine Vielzahl weiterer möglicher Abneigungen, tatsächlicher und eingebildeter Unverträglichkeiten. Lebensmittel werden nicht mehr damit beworben, was sie enthalten, sondern damit, was nicht drin ist.

Da industriell hergestellte Lebensmittel kaum noch natürliche Vitamine und andere Nährstoffe enthalten, werden sie nachträglich zugesetzt. Viele führen sich zusätzlich Nährstoffe in Pillenform zu. Immer neue sogenannte „Superfoods” wie Chia Samen oder Quinoa werden entdeckt und propagiert.

Doch eigentlich ist es gar nicht so kompliziert: Wer sich ausgewogen mit viel Gemüse, Salat und Obst ernährt, braucht weder Diäten, Nahrungsergänzungsmittel noch „Superfoods”.

FAQ - häufig gestellte Fragen

Was unterscheidet Veganer, Vegetarier, Pescetarier und Flexitarier?

Veganer verzichten komplett auf alle tierischen Produkte. Das betrifft nicht nur Fleisch und Fisch, sondern auch Eier, Milchprodukte, Honig und alle Produkte, die tierische Bestandteile enthalten. Sie vermeiden oft auch die Nutzung tierischer Produkte in anderen Bereichen, wie Kleidung.

Vegetarier verzichten auf Fleisch und Fisch, konsumieren aber weiterhin andere tierische Produkte wie Milch, Käse, Eier und Honig.

Pescetarier verzichten auf Fleisch von Landtieren, essen aber Fisch und Meeresfrüchte. Milchprodukte und Eier werden in der Regel ebenfalls konsumiert.

Flexitarier sind Menschen, die ihren Fleischkonsum bewusst reduzieren, ohne vollständig darauf zu verzichten. Sie essen gelegentlich Fleisch, legen jedoch Wert auf eine überwiegend pflanzliche Ernährung.

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