Koch, Kellner und Konditor hat Josef Zotter gelernt. Erfolgreicher Unternehmer wird er jedoch als Chocolatier. Unter anderem, weil er eigene Wege geht. So auch als Bio-Landwirt (Artikel Februar 2021).
Wenn Josef Zotter mit einem roten und einem grünen Schuh in seinem Büro sitzt und aus dem Fenster schaut, sieht er auf den „Essbaren Tiergarten“ und den „Friedhof der Ideen“. Am Fenster steht ein Kakaobaum. Er ist gewachsen aus den Früchten, die Zotter aus Peru von einer seiner zahlreichen Reisen zu den Kakao-Kooperativen der Welt mitgebracht hat. Im ganzen Haus stehen Kakaobäume. „Es ist zu einem Dschungel geworden“, sagt der Chocolatier und lacht.
Josef Zotters Büro befindet sich inmitten der Erlebniswelt, die er in der Steiermark geschaffen hat. In normalen Jahren ohne Pandemie kommen mehr als 200.000 Menschen hierher nach Riegersburg bei Feldbach. Zotter hat diese Welt geschaffen mit Mut, Kreativität und Unternehmergeist. Er ist andere Wege gegangen als andere, hat Menschen provoziert – und manchmal einfach Glück gehabt.
Dabei wollte Zotter als junger Mensch nur eins: weg von diesem kleinen Ort nahe der slowenischen Grenze. 1961 kam Zotter in Feldbach zur Welt. Seine Eltern hatten eine kleine Landwirtschaft mit Kühen, Schweinen und ein paar Obstbäumen: Äpfel, Birnen und Pfirsiche. „Mein Vater wollte, dass ich Landwirt werde“, erinnert sich Zotter. Doch er beginnt mit 15 Jahren eine Koch-Lehre. Nicht, weil er so ein begeisterter Koch ist, das hat sich erst später herausgestellt. „Ich dachte, kochen kann man auf der ganzen Welt, auch in New York. Das war mein Lebensziel.“
Zotter lernt Koch, Kellner und Konditor. „Nur Chocolatier, das habe ich nie gelernt“, sagt er amüsiert. „Das ist etwas, das ich jungen Menschen sagen möchte: Vergesst, was ihr an der Uni oder anderswo gelernt habt. Denn das gibt es ja schon. Ihr müsst neue Wege gehen.“
Sein Weg führt ihn zunächst nach Tirol in den St. Antoner Hof. In seinem Leben gibt es viele Zufälle – dass in seiner zweiten Saison dort der Küchenchef kurz vor Weihnachten überraschend ausfällt, ist einer davon. Als der Hoteldirektor fragt, wer jetzt die Verantwortung übernehmen will, „da haben alle anderen sich weggeduckt“, erinnert sich Zotter. „Also habe ich es gemacht.“ So wird er mit 21 Jahren einer der jüngsten Küchenchefs Österreichs in einem Fünf-Sterne-Hotel und soll ein Team mit acht Köchen führen. Als erstes fährt er nach Innsbruck, um sich in einer Buchhandlung 50 Kochbücher zu kaufen. „So habe ich meine ersten Menüs zusammengestellt.“
Zotter geht ein paar Jahre später nach Wien, dann nach New York. Dort arbeitet er im berühmten Fünf-Sterne-Hotel The Pierre nahe am Central Park. Relativ schnell wechselt er in die Patisserie. Wie sollte es auch anders sein: „Die Gäste mochten meinen Apfelstrudel und meine Sachertorte.“ Er überlegt, in New York sein eigenes Café zu eröffnen. Doch da ist seine damalige Freundin und heutige Frau Ulrike schon schwanger mit Tochter Julia. So kehrt Zotter nach etwas mehr als einem halben Jahr in New York 1987 zurück nach Österreich und gründet mit 26 Jahren seine Konditorei in Graz.
Die Konditorei wächst schnell. Zotters Kreationen wie die „Hanfschnitte“ oder die „Käferbohnenroulade mit Koriander“ sind bei den Kunden gefragt. Er eröffnet drei weitere Filialen. Dabei hat er als Konditor auch immer mit Schokolade zu tun. 1992 fängt er an, mit Schokolade zu experimentieren. Zunächst nutzt er klassische Formen und Produktionsmethoden für seine Kreationen.
Dann kommt ein Großauftrag. Er versäumt es, rechtzeitig mit der Produktion zu beginnen. In der Not fährt er mit seiner Frau in den Baumarkt, kauft Vorhangstangen, um daraus neue, große Formen für die Schokoladenmasse zu bauen. Beide rühren die Schokolade mit Gewürzen an, schichten sie in die Form, füllen die Schokolade mit Kürbiskernen, streichen sie glatt, schneiden sie in Stücke. So entwickelt Zotter den Prozess der handgeschöpften Schokolade für die er später berühmt wird.
Der Auftrag wird rechtzeitig fertig. „Aber ich war mir sicher, dass die Kundin die Lieferung reklamieren wird. Es war einfach nicht das, was sie bestellt hatte.“ Doch es kommt anders: Die Kundin ist begeistert und umarmt ihn. „Du musst anders sein, um aufzufallen“, erkennt er. „Die Schokolade war definitiv anders als alles, was es vorher gegeben hat. Das habe ich mir dann zum Programm gemacht.“ Die zwei verschiedenen Schuhe, die er immer trägt, sind ein Zeichen dafür.
Auch wenn Zotters Kuchen und Schokoladen gut ankommen, wirtschaftlich gehen sich die Konditoreien nicht aus. Zotter macht Schulden. „Wir sind zu schnell gewachsen“, erkennt er später. Die Kosten sind zu hoch, aber Kompromisse bei der Qualität machen, will er nicht. 1996 muss Zotter Insolvenz anmelden. Von 50 Mitarbeitern bleiben nur zwei. Von den vier Konditoreien bleibt nur eine. Schließlich verkauft er auch diese und geht dahin zurück, wo er hergekommen ist.
Seine Eltern stellen ihm den alten Kuhstall zur Verfügung, der inzwischen leer steht. Hier startet Zotter 1999 wieder neu. „Ich wäre an diesen einsamen Ort niemals zurückgegangen. Die Not hat mich hierher getrieben“, gesteht er. „Dann hat sich aber herausgestellt, dass das der perfekte Ort ist zum Arbeiten.“ Hier baut Zotter mit den Jahren seine Erlebniswelt auf – mit Schokoladen-Manufaktur, Bio-Landwirtschaft und Schokoladen-Theater, wo Besucher die Produktion sehen können.
Doch der Chocolatier begnügt sich nicht damit, ein neues Produktionsverfahren zu entwickeln. Er geht der Schokolade an die Wurzel. 2001 führt ihn seine erste Kakaoreise nach Nicaragua, wo er die Kakaobauern besucht, ihre Produktionsweise, ihre Sorgen und Nöte kennenlernt. Viele weitere Reisen nach Südamerika, Afrika und Asien folgen. Er baut seine eigenen Lieferketten auf, zahlt faire Preise und erhält bessere Qualität.
„Ich bin so ein 100-Prozent-Typ“, sagt Zotter. „100 Prozent bio, nix nebenher. 100 Prozent fair gehandelt, 100 Prozent transparent, nix nebenher. Das spielt uns heute in die Hände, denn die Leute wollen wissen, was sie essen und woher es kommt.“ Heute produziert Zotter mit seinen 200 Mitarbeitern an Spitzentagen bis zu 100.000 Tafeln seiner handgeschöpften Schokolade.
Rund 1.600 Sorten und Rezepturen hat Zotter in den vergangenen 30 Jahren geschaffen. 2015 wurde er als einer der Top 25 Chocolatiers der Welt ausgezeichnet. Etwa 500 Sorten sind aktuell im Sortiment. Immer wieder müssen Sorten aussortiert werden, wie die Schokolade mit Rotweinzwiebel oder mit Käferbohnen. Für die verlorenen Ideen hat Zotter den Ideen-Friedhof auf seinem Gelände geschaffen – mit Grabtafeln und schönen Blumen, ganz wie es sich gehört. Manche Lieblingskinder wie die Fischschokolade sind schon dreimal gestorben und wieder exhumiert worden.
Als 2020 die Pandemie beginnt, macht auch Zotter sich Sorgen, was passieren wird. Doch das Unternehmen ist schuldenfrei, also zu 100 Prozent eigenkapitalfinanziert und damit krisensicher. Miete zahlt er auf seinem eigenen Grund nicht. Er fühlt sich gewappnet. Heute basiert sein Unternehmen auf drei Standbeinen: Das erste ist die Schokoladenproduktion, mit der er den Handel und die Supermärkte beliefert. Das zweite ist der Online-Handel, mit dem er bereits sehr früh (1996) startet und jetzt die ganze Welt bedient. Aktuell liegt der Online-Umsatz bei rund 21 Prozent, vor ein paar Jahren waren es noch vier bis sechs Prozent gewesen. Beide Bereiche boomen während der Pandemie. Einzig das dritte Standbein, der Tourismus, ist im Corona-Jahr zusammengebrochen. Dennoch ist 2020 für Zotter das wirtschaftlich erfolgreichste Jahr seiner Unternehmensgeschichte.
Zotter glaubt, dass heute die Saat aufgeht, die er vor 20 Jahren gelegt hat, als er beginnt, auf biologisch produzierte und fair gehandelte Produkte zu setzen. Er denkt, dass wir nach der Pandemie nicht einfach so weitermachen können wie bisher. „Die Pandemie hat in Wahrheit eine massive Wirtschaftskrise offengelegt“, ist Zotter überzeugt. „Das Wirtschaftssystem, wie wir es in den vergangenen 20 Jahren gefahren haben, ist vor die Wand geknallt. Wir brauchen neue Strukturen und kleinere Unternehmen, weniger Wachstum.“ Ihm geht es nicht darum, reich zu werden und Luxusgüter anzuhäufen, sagt er. Aber erfolgreich sein, das will er auf jeden Fall. Er will investieren können, in sein Unternehmen und in seine Mitarbeiter.
Erfolgreich hat ihn gemacht, dass er eigene Wege gegangen ist, seine Nische gesucht und gefunden hat und nicht dem Mainstream gefolgt ist. Da ist er sich sicher. Das signalisieren die zwei verschiedenen Schuhe, die er trägt. Das zeigt auch der Name „Essbarer Tiergarten“, der ebenfalls eine Provokation ist. Andere nennen das Streichelzoo. Doch die Ziegen, Rinder, Schafe und Schweine, die dort leben, sind die, die die Besucher irgendwann im Restaurant verspeisen können. „Schau deinem Essen in die Augen, und dann entscheide, wie groß dein Schnitzel sein soll“, sagt er den Besuchern. Da ist er 100 Prozent transparent.