Martin Schleske fertigt Geigen an, die zu den besten der Welt gehören. Er wählt unter Tausenden von Holzstücken nur wenige aus, die für seine Geigen geeignet sind. Wir sprachen mit ihm.
Mit vier weiß er, dass er Geige spielen will. Mit sieben fängt er damit an. „Kinder haben ein unverfälschtes Gespür für ihr Instrument“, sagt Martin Schleske, inzwischen 56 und einer der renommiertesten Geigenbauer international. Klang ist sein Leben. Er begleitet den nördlich von Stuttgart aufgewachsenen Kunsthandwerker von Kindesbeinen an. Sein Vater spielt Querflöte, die Mutter Klavier. Seine ältere Schwester Cello, der Onkel Geige. Ein Familienorchester, dessen Klänge am Abend oft das Elternhaus erfüllen.
Martin Schleske ist eigen. Mit 17 schmeißt er die Schule und bewirbt sich an der Geigenbauschule Mittenwald um einen Ausbildungsplatz. „Das künstlerische Handwerk hat mich ebenso angezogen wie der Klang“, sagt er, „mit Hand, Herz und Kopf einen Körper schaffen.“ Er habe einen Gegenpol zu seinen intellektuellen Eltern gesucht. Der Vater ist Professor für Sportpädagogik, die Mutter Lehrerin. Von 1.200 Bewerbern dürfen zwölf das Handwerk des Geigenbaues erlernen. Er ist dabei. Martin Schleske ist ehrgeizig. Als fertiger Geselle arbeitet er zwei Jahre im Labor eines Akustikers mit Schalltechnik und Schwingungsanalysen. Er holt das Abitur nach, studiert Physik in München und wird Diplom-Ingenieur. „Die Grundlage des Klangs ist ja die Akustik, erst das hörende Ohr lässt Klang entstehen.“ Schleske legt die Meisterprüfung im Geigenbauer-Handwerk ab und öffnet seine eigene Meisterwerkstatt in Landsberg am Lech, einer kleinen mittelalterlichen Kreisstadt im bayerischen Südwesten. Zwei Kollegen helfen ihm bei der Arbeit, ein weiterer Mitarbeiter ist im Büro.
Schleskes Geigen, Bratschen und Violoncelli gehören zu den besten der Welt und erklingen in den Händen berühmter Solisten und Konzertmeister. „Eine Geige zu bauen ist ein Schöpfungsakt“ sagt Schleske. Dabei spielt das Holz eine tragende Rolle. „Es hat sein Mitspracherecht im Werdegang eines Instrumentes.“ Nur das Holz sehr weniger ausgewählter Bäume ist geeignet für den Klang seiner Geigen. Diese von ihm so genannten „Sängerstämme“ wachsen auf sauren, mageren Böden in bestimmten Tälern der Dolomiten. In früheren Jahren ist er selbst in die Hochlagen der Gebirgswälder auf die Suche nach „Sängerstämmen“ gegangen. Inzwischen wählt er bei Tonholzhändlern aus den aufgeschnittenen Holzstücken das geeignete Rohmaterial für seine Geigen aus. „Ich nehme es in die Hand, schaue, wie es das Licht reflektiert, klopfe auf das Holz und lausche auf seine Eigentöne.“ Gutes Holz habe einen leuchtenden Glanz und einen glockenartigen, rauschenden Klang. In einer zehntel Sekunde wüsste er, ob es ein exzellentes „Sängerholz“ ist oder nicht. „Ich habe mir kürzlich bei einem Tonholzhändler 3.000 gute Holzstücke angeschaut und sieben davon für meine Geigen ausgewählt.“
Jedes Instrument aus seiner Werkstatt sei eine individuelle „Klangskulptur“, das seine klangliche und künstlerische Handschrift trage. Rund 200 Stunden benötigt er, bis eine Geige fertig ist. Kunden warten ein bis mehrere Jahre auf ihr Instrument. Ein Höhepunkt ist, wenn Schleske den Geigenkörper mit dem Bernsteinlack, einer Rezeptur aus dem 18. Jahrhundert, versieht. „Er bringt das Holz zum Leuchten. Ich werde dann richtig euphorisch.“ Der schönste Moment seiner Arbeit an einer neuen Geige erwartet ihn im Musikraum seiner Werkstatt im Dachgeschoss. Die Belohnung sei der Klang. „Es kommt vor, dass ein Instrument außergewöhnlich ist und sein Klang mich tief berührt. Da kommen mir die Tränen.“
Ein Bild friere das Verständnis der Welt ein, während der Klang das Verstreichen der Zeit umfasst. „Der lebendige Klang ist ehrlich und gegenwärtig in dem Moment, in dem er erklingt“, sagt Martin Schleske. Eine Simulation von Klang ist eine Lüge. „Ich gaukele mir vor, dass eine CD das Gleiche ist wie ein Life-Konzert. Ist es nicht.“
Der Geigenbauer liebt den Klang seiner E-Gitarre, eine alte Gibson, auf der er jeden Feierabend spielt. Gibson ist einer der ältesten und bekanntesten amerikanischen Hersteller von Zupfinstrumenten. Eine Gibson ist Kult. „Eine E-Gitarre simuliert den singenden Ton einer Geige“, sagt Schleske. Sein großes Idol ist der irische Rockmusiker Gary Moore, dessen Lieder wie zum Beispiel „The Messiah Will Come Again“ nennt er Welthymnen. Er habe eine berührende authentische Stimme, die ihm unter die Haut ginge. „Musik muss Ausdruck der Seele sein.“ Aus dem abendlichen Spiel schöpft er Kraft für seine Arbeit.
Schleske hat sich seinen Lebenstraum erfüllt. Hat er noch Träume? „Ich hoffe, dass ich noch mit 85 Geigen baue“, sagt er. „Ich möchte heilsamen Klang ermöglichen, der die Seele gesund macht. Das ist mein großer Traum.“