Zukunftsfrage: Woher kommt der saubere Strom?
Meine Zukunft

Neue Stromquellen: Kreative Ideen für saubere Energie

Der Klimawandel bringt Wissenschaftler auf der ganzen Welt dazu, nach neuen Stromquellen zu forschen. Sie gewinnen Energie aus fauligen Orangen oder fallenden Regentropfen. Wir stellen vier spannende Ansätze vor.

Lesedauer: 4 Min.

Heuer stammen rund drei Viertel des in Österreich erzeugten Stroms aus erneuerbaren Energiequellen. Wir liegen mit unserem Energiemix an der Spitze im europäischen Vergleich. Wir nutzen Sonne, Wind, Wasserkraft und Biomasse. Das Ziel ist jedoch, aus der fossilen Energiewirtschaft ganz auszusteigen und zu 100 Prozent sauberen Strom zu nutzen. Damit das hierzulande und überall auf der Welt möglich ist, arbeiten Wissenschaftler an kreativen neuen Lösungen für die Stromerzeugung. Ob aus gärenden Orangen, fallenden Regentropfen, Algen oder Luftfeuchtigkeit – sie entdecken Wege der Stromerzeugung, die wir uns bisher kaum vorstellen konnten.

Antrieb aus recycelten Orangen

In Südspanien gibt es zu viele Orangen
In Südspanien gibt es zu viele Orangen

Aus verottenden Orangen wird sauberer Strom. Die spanische Stadt Sevilla hat es geschafft, ihr Müllproblem in ein zukunftsträchtiges Vorzeigemodell zu verwandeln. Die 48.000 Orangenbäume der Stadt tragen so viele Früchte, dass nur ein Teil davon verarbeitet werden kann. Tonnenweise landen reife Bitterorangen auf den Straßen und verrotten dort zu klebrigem Matsch. In einem Pilotprojekt will das städtische Wasserversorgungsunternehmen Emasesa 35 Tonnen Orangen recyceln – und daraus Strom erzeugen. Denn während des Fermentationsprozesses entfaltet Orangensaft sein Potenzial. „Der Saft besteht aus Fruktose, die aus sehr kurzen Kohlenstoffketten besteht, und die energetische Leistung dieser Kohlenstoffketten während des Gärungsprozesses ist sehr hoch“, erklärt Beningo López, Leiter der Umweltabteilung von Emasesa.

Die Orangen kommen in eine Biokraftanlage der Kläranlage. Das bei ihrer Gärung entstehende Methan wird eingefangen und für die Energieversorgung eines Generators der Kläranlage genutzt. Das mittelfristige Ziel ist aber, überschüssigen Strom wieder ins Netz einzuspeisen. Das Projektteam verweist auf das enorme Potenzial in Anbetracht der Mengen an Früchten, die sonst auf der Mülldeponie landen wie der Guardian berichtet. Versuche hätten gezeigt, dass 1.000 Kilogramm Orangen 50 Kilowattstunden Strom erzeugen. Das ist genug, um fünf Haushalte einen Tag lang mit Strom zu versorgen. So hat das Team errechnet, dass 73.000 Haushalte mit Strom versorgt werden könnten, wenn alle Orangen der Stadt recycelt und die Energie wieder ins Netz eingespeist würde.

Aus Regen wird Leuchtkraft

Stromquelle: Die Schwerkraft des Regentropfens
Stromquelle: Die Schwerkraft des Regentropfens

Weine nicht, wenn der Regen fällt, heißt es in einem bekannten Schlager. In Zukunft könnte es heißen: Freue dich, wenn der Regen fällt. Denn Forschern ist es gelungen, fallende Wassertropfen als Stromquelle zu nutzen. Mit nur einem Tropfen Wasser haben Ingenieure aus Hongkong ganze 100 LED-Lichter zum Leuchten gebracht. Möglich machte das ein neu entwickelter Generator. Die Vision: Überall, wo Regen fällt oder Gewässer vorhanden sind, sollen Tropfen-Generatoren Strom erzeugen. Ob auf der Oberfläche eines Regenschirms, am Rumpf einer Fähre oder sogar im Inneren von Wasserflaschen.

„Unsere Forschung zeigt, dass ein Tropfen Wasser, der aus einer Höhe von 15 Zentimetern freigesetzt wird, eine Spannung von mehr als 140 Volt erzeugen kann“, wie Studienleiter Wang Zuankai auf der Internetseite der City Universität Hongkong schreibt. „Die kinetische Energie des fallenden Wassers stammt aus der Schwerkraft und kann daher als frei verfügbar und erneuerbar angesehen werden“, sagt Professor Wang weiter. „Sie sollte daher besser genutzt werden.“ Strom aus Wassertropfen statt aus Erdöl oder Atomkraft könne die nachhaltige Entwicklung der Welt voranbringen, davon ist Wang überzeugt.

Das Forscherteam fand einen Weg, um die elektrische Energie der aufprallenden Wassertropfen zu sammeln und damit die Wirksamkeit bisheriger Generatoren zu vervielfachen. Ihr spezieller Generator beruht auf der Wechselwirkung von Wassertropfen mit bestimmten Materialien. Er besteht unter anderem aus einer Halbleiterschicht, auf die ein als Teflon bekanntes Material aufgetragen ist. Dieses kann elektrische Ladungen speichern oder etwa durch Reibung ansammeln. Ein Aluminiumstück verbindet beide Schichten und dient als Elektrode. Die Neuerung zu bisherigen Generatoren ist, dass die durch die einzelnen Tropfen erzeugte Energie nicht verloren geht, sondern stetig anwächst. Mit jedem Tropfen nimmt die Ladung der Oberfläche zu. In Tests wurde so tausendmal mehr Energie erzeugt als mit bisherigen Geräten. Wer weiß, wie effizient wir Regentage in naher Zukunft nutzen werden.

Elektrizität aus der Luft

Ähnlich phänomenal ist die Entdeckung von amerikanischen Wissenschaftlern der Universität Massachusetts. Sie erzeugen Strom aus Luftfeuchtigkeit. Da bei jedem Wetter mehr oder weniger viel Feuchtigkeit in der Luft vorhanden ist, sogar in der Sahara, könnten die neuen Geräte eine Ergänzung zu Wind- und Sonnenenergie werden. Der Vorteil: Der Generator, genannt „Air-gen“, braucht weder Wind noch Sonne, sondern nur Luft und funktioniert sogar drinnen. Er kann mindestens 20 Stunden lang Strom erzeugen, bevor er wieder fünf Stunden lang aufgeladen werden muss. „Wir machen buchstäblich Elektrizität aus Luft“, sagt Studienleiter und Elektroingenieur Jun Yao.

Möglich ist das durch die Kombination von Mikrobiologie und Elektrotechnik. Die Forscher entdeckten, dass das Bakterium Geobacter sulfurreducens feine Fasern produziert, die leitende Eigenschaften ähnlich wie Nanodrähte besitzen. Sie platzierten diese biologischen Proteinstrukturen zwischen zwei Elektroden, um die Leitfähigkeit zu testen. Dabei stellten sie fest, dass das Gebilde selbstständig Strom produzierte, es herrschte eine Spannung um 0,5 Volt, die abhängig von der Luftfeuchtigkeit schwankte.

In ihren weiteren Forschungen erreichten die Wissenschaftler durch das Zusammenschalten mehrerer Elemente bereits eine Spannung von ganzen zehn Volt. Sie brachten damit eine LED und ein LCD-Display zum Leuchten. Da sich die Konstruktion über die Luftfeuchtigkeit selbst auflädt, könnten manche Akkus und Ladekabel überflüssig werden. 

Die Forscher planen, ihre Erfindung bald marktfähig zu machen. In einem ersten Schritt wollen sie elektronische Wearables wie Smart Watches damit laden, danach soll das auch für Handys möglich sein. „Das ultimative Ziel ist es, Systeme im großen Maßstab herzustellen“, sagt Forscher Yao. „Die Technologie könnte zum Beispiel in Wandfarbe eingearbeitet werden, um Häuser mit Strom zu versorgen.“ Voraussetzung dafür sei es, die Proteinfasern – also die biologischen Nanodrähte – in industriellem Maßstab zu produzieren. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist bereits getan. Der Mikrobiologe und Co-Studienleiter Derek Lovley hat einen neuen Stamm aus E. coli Bakterien entwickelt, um schneller und kostengünstiger Protein-Nanodrähte in Massenproduktion herzustellen. „Wir haben E. coli in eine Protein-Nanodraht-Fabrik verwandelt“, erklärt Lovley.
Auch auf unseren Balkonen kann grüner Strom erzeugt werden. In unserem Beitrag werfen wir einen Blick auf Balkonkraftwerke, eine Technologie, die es jedem ermöglicht, einen Teil seines eigenen Stroms direkt zu Hause zu erzeugen.

Mutierte Algen für grüne Energie

Stromerzeugung durch Photosynthese: Algen unter dem Mikroskop
Stromerzeugung durch Photosynthese: Algen unter dem Mikroskop

Schon länger wird an biologischen Solarzellen geforscht. Sie nutzen die Photosynthese von Mikroorganismen, um Sonnenlicht in Strom umzuwandeln. In diesem Zusammenhang sind Algen besonders interessant. Sie wachsen bis zu zehnmal schneller als Landpflanzen und für ihren Anbau müssen keine Flächen gerodet werden wie etwa für Raps. Während ihrer Photosynthese produzieren Algen Elektronen, von denen ein Teil nach außen exportiert wird und genutzt werden kann. Forscher der Universität Cambridge haben eine biologische Solarzelle auf Basis von genveränderten Algen entwickelt, die nicht nur mehr Strom erzeugt, sondern diesen auch speichert. 

Das gelang durch zwei Schritte. Zum einen durch die mutierten Algenzellen, die einen viel geringeren Teil der von ihnen erzeugten Elektronen selbst verbrauchen. Zum anderen haben die Forscher das Design der Solarzelle verändert, statt einer Kammer gibt es zwei – eine für jeden der grundlegend wichtigen Prozesse. Eine Kammer für die Sammlung von Licht und die Erzeugung von Elektronen. Die andere Kammer für die Leistungsabgabe, also die Übertragung auf den Stromkreis. Durch das Zweikammersystem können die Forscher die Leistung der verschiedenen Prozesse gesondert optimieren. Insgesamt erzeugen die mutierten Algen nun fünfmal mehr Strom als bisher. 

Da die bei Tageslicht erzeugte Ladung nicht sofort verbracht werden muss, könnte sie in der Nacht genutzt werden. Die Wissenschaftler denken an einen Einsatz in ländlichen Gebieten Afrikas, wo es mehr als genug Sonnenlicht gibt jedoch keine Anbindung ans Stromnetz. Die lokale Bevölkerung könnte ihren Strom direkt selbst produzieren, ohne auf weit entfernte Anlagen angewiesen zu sein.

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