Künstliche Intelligenz verändert die Architektur. Mit ihrer Hilfe werden bereits Entwürfe im Stil toter Architektur-Stars geschaffen. Wir schauen uns die Möglichkeiten an, die KI für das Planen und Bauen bietet. Was bleibt für Architekten zu tun? Und wie wird KI-Architektur aussehen?
Seit das Unternehmen OpenAI Ende 2022 den Chatbot ChatGPT veröffentlichte, ist Künstliche Intelligenz in aller Munde. Bildprogramme wie Midjourney, die auf eine kurze Texteingabe hin faszinierende Bilder generieren, kamen hinzu. Generative Künstliche Intelligenz (KI) ist in der Lage, riesige Datenmengen aufzusaugen, auszuwerten und auf dieser Grundlage neue Inhalte zu erstellen. Die technologische Entwicklung schreitet in hohem Tempo voran. Experten sagen voraus: Die Auswirkungen von KI auf unser Leben werden so gravierend sein, wie es die Verbreitung des Internets war. Viele Berufe werden sich verändern - oder ganz überflüssig. Müssen auch Architekt:innen um ihre Jobs fürchten?
KI-gestützte Bildprogramme sind für Architekten und Designer zunächst einmal ein tolles Spielzeug. Der Londoner Architekt Tim Fu erregte mit fantastischen und verblüffenden KI-Entwürfen Aufsehen. Seine Traumhäuser für Musiker, die an Musikinstrumente erinnern, gingen in den sozialen Medien viral. Das Foto eines Papierknäuels ließ er Bildgeneratoren in architektonische Entwürfe im Stil von Architektur-Ikonen wie Frank Gehry, Zaha Hadid, Daniel Libeskind verwandeln. Surreale „symbiotische Architekturen” sind die Spezialität des Inders Manas Bahta – Mischformen aus Bäumen und Häusern oder ein von einem 3D-Drucker aus Sand gebautes Hotel.
Die KI-generierten Architekturbilder erstaunen mit komplexen Formen, Strukturen und Texturen. Oft sehen sie allerdings aus wie einem Fantasy-, Science-Fiction- oder Horrorfilm entsprungen. Gefüttert mit unzähligen Bildern aus dem Internet setzen sie Bestehendes nur neu zusammen. Von menschenähnlicher Intelligenz, die etwas wirklich Neues schafft, ist das noch weit entfernt.
Architekt Fu schätzt die KI-Bildermischmaschinen als Inspirationsquelle, die eine Vielzahl von Ideen auf einmal auswirft. Auch eine schnelle Visualisierung einer ersten Idee kann ein KI-Bild liefern. Aber es handelt sich erst einmal nur um ein Bild. Von dem kommt man höchstens über Umwege zu einer konkreten Planung - wenn der Entwurf technisch und finanziell überhaupt umsetzbar ist. Von nationalen oder lokalen Bauvorschriften ganz zu schweigen.
KI-Bilder bekommen viel Aufmerksamkeit. Die revolutionärsten Veränderungen finden in Gebieten statt, die nicht so „sexy” sind, betont der britische Architekturtheoretiker Tim Leach. Zwischen Entwurf und Bau lassen sich viele Aufgaben automatisieren, beim strategischen Denken und der Echtzeit-Analyse sei KI dem Menschen bereits weit überlegen.
Auch der Architekt Dietmar Köring, Mitglied der Arbeitsgruppe Künstliche Intelligenz der deutschen Architektenkammer, sagt (im Fachmagazin Baunetzwoche): „KI hat enormes Potenzial, Architektur, Bauwesen und Stadtplanung zu revolutionieren.
Künstliche Intelligenz beschleunigt den Planungsprozess, erhöht Effizienz und Genauigkeit und erleichtert den Austausch von Daten. KI berechnet schnell und effizient, wie eine Fläche optimal ausgenutzt wird. Die ersten Anwendungen sind auf dem Markt. Das Programm beispielsweise „Propertymax“ prüft tausende baurechtlich mögliche Bebauungsvorschläge innerhalb kürzester Zeit und filtert die Variante heraus, die ein Grundstück maximal ausnutzt.
KI-Systeme analysieren komplexe Regelwerke und stellen sicher, dass Entwürfe alle erforderlichen Standards und Vorschriften erfüllen. Das verringert die Wahrscheinlichkeit von Verzögerungen durch Nachbesserungen. Kostenanalysen in Echtzeit erleichtern das Einhalten von Budgetbeschränkungen.
Es ergeben sich neue Möglichkeiten für eine vernetzte Planung. Mit einer zentralen Künstliche Intelligenz wird Durcheinander bei komplexen Großprojekten vermieden. Sie gleicht sämtliche Pläne miteinander ab, setzt Planungsänderungen in allen Bereichen um.
China ist beim Einsatz von KI in der Architektur vorneweg. Bereits zehntausende Planer und Architekten dort mit der Software XKOOL. In Shenzhen entstand mithilfe von XKOOL ein Hotelkomplex mit fünfhundert Zimmern – in nur vier Monaten von der ersten Planung bis zur Fertigstellung. Mit den fantastischen Entwürfen aus den Bildgeneratoren hat die Kastenarchitektur dieses Projekt allerdings nichts zu tun.
KI kann einen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit beim Bauen leisten. Sie ermöglicht es, Materialien möglichst effizient zu nutzen, den Ressourcen- und Energieverbrauch zu reduzieren. So trägt KI dazu bei, die CO2-Bilanz eines Projekts zu verringern.
Der Schweizer Architektur-Professor Dirk Hebel beschäftigt sich mit Konzepten für eine Kreislaufwirtschaft im Bauwesen. Im Sinne der Kreislaufwirtschaft sind Gebäude als Materiallager anzusehen, in denen sämtliche Bestandteile rückbau- und wiederverwertbar sein sollen. Mithilfe von KI, glaubt Hebel, könnten in Zukunft „digitale Zwillinge” von Gebäuden erstellt werden, um die Ressourcen und Materialien zu verwalten.
Eine spannende Perspektive für Häuselbauer: KI könnte die Architektur demokratisieren. Bereits heute ermöglichen digitale Planungstools Bauherren das Erstellen von Grundrissen, die Visualisierung von Entwürfen oder die Personalisierung von Fertighaus-Varianten. KI-Anwendungen werden diese Möglichkeiten stark erweitern. Bauherren können ihre Entwürfe stärker ausarbeiten, bevor die Profis ins Spiel kommen. Das senkt die Kosten für das Traumhaus.
Müssen Architekten um ihre Jobs fürchten? Die Antwort ist ein klares Nein. Selbst Wanyu He vom chinesischen KI-Vorreiter XKOOL hält die gegenwärtige KI für eine begrenzte Intelligenz, sie könne nur bestimmte Aufgaben unter der Anleitung von Menschen erledigen.
Die Zukunft liegt in einer symbiotischen Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine. Künstliche Intelligenz wird Architekten viel langweilige Arbeit abnehmen. Doch der menschliche Einfluss bleibt besonders in der kreativen Phase des Entwurfsprozesses wesentlich. Ein Mensch verbindet technische Kenntnisse, historisches Wissen mit eigenen Erfahrungen und entwickelt aus diesem Hintergrund heraus eine persönliche Vision für ein Gebäude. Aber auch eine zufällige Beobachtung kann als Inspiration dienen. Das kann Künstliche Intelligenz nicht nachbilden. Und vor allem: Künstliche Intelligenz hat keinen Körper. Sie kann ausrechnen, wie man einen Raum billig baut, aber sie hat keine Idee davon, wie sich dieser Raum anfühlen wird.
Und die Architektur? Bisher hat noch jeder technologische Fortschritt neue Architekturformen hervorgebracht. So wird es auch mit der Künstlichen Intelligenz passieren. Wie die KI-unterstützt geplanten und gebauten Häuser der Zukunft aussehen werden, ist noch offen. So wie die abgedrehten Visionen aus den Bildgeneratoren oder so wie der Hotelklotz in China? Wir werden es bald erleben. Die Zukunft hat begonnen.