Ein Kind hält sich Brokkoli vor die Augen und grinst
Ernährung

So geht gesunde Ernährung für Kinder – wir sprechen mit SIPCAN -Vorstand

Die österreichische Organisation SIPCAN setzt sich für die gesunde Ernährung ein, vor allem von Kindern. Ernährungsexperte Professor Doktor  und SIPCAN-Vorstand Friedrich Hoppichler verrät uns, worauf es ankommt.

Lesedauer: 3 Min.

Was ist SIPCAN?

SIPCAN setzt sich als gemeinnütziger Verein seit dem Jahr 2005 für die Gesundheit der Österreicherinnen und Österreicher ein. SIPCAN heißt Special Institute for Preventive Cardiology and Nutrition = Institut für Herz-Kreislaufvorsorge und Ernährung. Auf der Grundlage aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse bietet SIPCAN Unternehmen und Schulen Informationsmaterial, Vorträge und Workshops zu gesunder Ernährung und einem gesunden Lebensstil an. 



SIPCAN Mitarbeiter:innen gehen für Programme zur betrieblichen Gesundheitsvorsorge auch direkt in Unternehmen. Dort führen sie Körper-, Herz-Kreislauf- und Ernährungs-Checks durch und beraten die Mitarbeitenden individuell.

Wir sprachen mit SIPCAN-Gründer und Vorstandsmitglied Prof. Dr. Friedrich Hoppichler.

Ein Arzt im Portrait

Prim. Univ.-Prof. Dir. Dr. Friedrich Hoppichler ist Vorstand von SIPCAN und Facharzt für Innere Medizin und Vorstand der Abteilung für Innere Medizin sowie ärztlicher Direktor am Krankenhaus Barmherzige Brüder in Salzburg. Des Weiteren ist bzw. war er Gründungsmitglied und zweimaliger Präsident der Österreichischen Adipositas Gesellschaft, Vorstandsmitglied und Sekretär der Österreichischen Diabetes Gesellschaft, Leiter der Arbeitsgruppe Prävention der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft, Leiter der Referate für Vorsorgemedizin und Umweltmedizin der Ärztekammer, Vizepräsident des Österreichischen Lipidforums sowie Mitglied des Landessanitätsrates Salzburg.

Foto © Mike Vogl 

 

Das Interview

Was gab den Anstoß für die Gründung der SIPCAN?

Als Mediziner bin ich bei meiner Arbeit täglich mit den Folgen eines ungesunden Lebensstils konfrontiert. Deshalb war es mir ein großes Anliegen, hier entgegenzuwirken. Gemeinsam mit meiner Kollegin Frau Univ.-Prof. Dr. Monika Lechleitner und unserem Team setze ich mich dafür ein, dass Menschen mehr über Ernährung und Gesundheit wissen und gesundheitsbewusster leben. Damit wollen wir Menschen vor allem vor Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes mellitus schützen.

 

Ihre Arbeit erspart dem Gesundheitssystem Kosten. Wird SIPCAN dafür vom österreichischen Staat oder den Gesundheitskassen unterstützt?

Nein.



Wie finanziert sich SIPCAN?

SIPCAN ist ein gemeinnütziger Verein und wird von Spendern gefördert, denen unsere Arbeit wertvoll ist. Wir unterstützen mit unserer Expertise aber auch Unternehmen, um die Gesundheit der Mitarbeitenden zu verbessern. Unsere Einnahmen daraus nutzen wir vor allem für unsere Ernährungsprogramme für Kinder und Jugendliche. Im letzten Schuljahr haben über eine viertel Million Schülerinnen und Schüler an beinahe 1.200 Schulen in ganz Österreich von dieser Arbeit profitiert.

Einer Frau wird ein Gerät zum Messen des Blutdrucks um den Arm geschnallt
Gesundheitstage bei Wüstenrot

Wie ist SIPCAN in die Gesundheitsvorsorge bei Wüstenrot einbezogen?

Dank des Verständnisses und der Weitsicht von Frau Generaldirektorin Dr. Riess-Hahn, der die Gesundheit aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr am Herzen liegt, können alle interessierten Personen jedes Jahr an unserem Programm „Mein Herz“ teilnehmen. Unser Expert:innen-Team kommt dafür direkt ins Haus. Die Teilnehmenden durchlaufen mehrere Stationen, bei denen sie in kürzester Zeit wichtige Gesundheitswerte erhalten. Neben Herz und Kreislauf liegt der Fokus dabei auch auf der Zusammensetzung des Körpers. Abgerundet wird das Programm durch einen wissenschaftlichen, aber zugleich unterhaltsamen Vortrag. Die Rückmeldung der Teilnehmenden ist durchgängig positiv. Das freut mich sehr. Ich bedanke mich für das uns entgegengebrachte Vertrauen und die gute Zusammenarbeit. 

SIPCAN und die Wüstenrot Gesundheitstage

Die jährlichen Wüstenrot Gesundheitstage in Zusammenarbeit mit SIPCAN sind ein Highlight der betrieblichen Gesundheitsförderung im Unternehmen. Die Gesundheitstage 2023 boten den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Salzburg und Wien wieder ein umfangreiches Programm. Ein wesentlicher Baustein: Die SIPCAN-Gesundheitschecks, bei denen wichtige Werte wie Blutdruck und Cholesterin erhoben wurden. Bei der „Fitness Badge” Messung werden Ausdauer und Kraft getestet wurden. Den Auftakt bildete ein inspirierender Online-Vortrag zur Lebensstiländerung. Massageeinheiten boten den Teilnehmenden Entspannung. 94 Mitarbeitende nahmen am Gesundheitscheck teil, 54 genossen eine Massage und 39 absolvierten die Fitnessmessung. Ein Teilnehmer begeistert: „Super Angebot”.

Die Reduktion von Zucker ist für mich als Internist ein großes Anliegen

Die wichtigsten Grundsätze für eine gesunde Ernährung sind weitgehend bekannt. Wie kommt es, dass in Österreich trotzdem die Zahl der Übergewichtigen weiter ansteigt und fast jedes dritte Kind übergewichtig ist?

Leider werden nach wie vor zu wenig Obst, Gemüse und komplexe Kohlenhydrate, aber zu viel Fett und Zucker konsumiert. Aus evolutionsbiologischer Sicht macht das durchaus Sinn. Ein Schokoriegel liefert mehr Energie als Kohlsprossen. Und der süße Geschmack signalisiert, dass der Riegel ungiftig und somit genießbar ist. In der Entwicklungsgeschichte des Menschen eine überlebenswichtige Information. Gleichzeitig werden vor allem zuckerreiche Lebensmittel auch als Belohnung erlebt bzw. eingesetzt und so das Verhalten gelenkt.

Früher war eine Ernährung mit viel Gemüse und Kohlenhydraten eine Verpflegung für die ärmeren Schichten. Nur wer Geld hatte, konnte sich Fleisch und zuckerhaltige Speisen leisten. Nach dem letzten Weltkrieg ist der Konsum energiedichter und tierischer Lebensmittel stark angestiegen, weil immer mehr Menschen sich das leisten konnten. Und in keiner Phase unserer Geschichte standen so viele Lebensmittel zur Verfügung. In früheren Epochen waren Menschen oft zum Verzicht gezwungen. Heute  entscheiden wir, wann und wo wir unseren Vorlieben nachgehen – eine Errungenschaft.

Die Reduktion von Zucker ist für mich als Internist ein großes Anliegen. Mit unserer Strategie zur schrittweisen Zuckerreduktion haben wir immerhin erreicht, dass der Zuckergehalt in Getränken und Milchprodukten in den letzten 10 Jahren um 20 Prozent reduziert wurde.

Ein Mädchen sitzt an einem Frühstückstisch und schaut sich die Lebensmittel an
Vorbild Eltern: ein möglichst breites Spektrum an Lebensmitteln

Was halten Sie von gesetzlichen Regelungen wie einer deutlicheren Kennzeichnung von Lebensmitteln – Stichwort “Ampel” – oder einer Zuckersteuer wie in Großbritannien?

Wenn man ein „Ampel“-System wie den Nutri-Score oder auch die Zuckersteuer genau durchleuchtet, findet man sehr viele Schwächen. Vor allem beeinflussen beide das Verhalten und somit auch den Lebensstil nicht so, wie erhofft.

Über die Zuckersteuer in Großbritannien wurde berichtet, dass diese die tägliche Zuckeraufnahme aus Getränken um 40 Prozent verringert habe. Tatsächlich handelt es sich aber nur um 20 Kalorien.

Stattdessen hat die Zuckersteuer dafür gesorgt, dass in Großbritannien 9 von 10 Getränken Süßstoffe enthalten, die Bevölkerung um 21 Prozent mehr Süßgetränke konsumiert und sowohl Kinder als auch Erwachsene kontinuierlich dicker werden. Dies darf hier in Österreich unter keinen Umständen nachgeahmt werden.

Das Eis oder die Limo sollten etwas Besonderes sein

Was empfehlen Sie Eltern, wie sie mit der Lust von Kindern auf Süßes umgehen sollen?

Kinder essen und trinken in der Regel das gerne, was sie kennen. Eltern sind also gut beraten, ihren Kindern ein möglichst breites Spektrum an Lebensmitteln näher zu bringen, damit die Kinder später Gusto auf viele verschiedene Dinge entwickeln können. Wenn es dann doch mal etwas Süßes sein darf, sollte dies möglichst bewusst erlebt werden. Das Eis oder die Limo sollte also etwas Besonderes sein und nicht einfach nebenbei konsumiert werden.

 

Wie können Eltern Kinder für Gemüse und Salat begeistern?

Ich rate Eltern immer, als Vorbilder zu wirken. Bringen Sie Gemüse und Salat möglichst bei jedem Essen auf den Tisch und zeigen Sie Ihre Begeisterung für unterschiedliche Gemüsesorten!

 

Brauchen Kinder Fleisch? Oder ist eine vegetarische Ernährung für Kinder zu empfehlen?

Kinder brauchen nicht zwingend Fleisch, wenn im Rahmen einer vegetarischen Ernährung auf eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung geachtet wird. Fachgesellschaften empfehlen aber speziell auf die Eisenaufnahme zu achten, da Eisen aus tierischem Muskelgewebe besser verwertet werden kann als aus pflanzlichen Quellen.  

Zwei Kinder stehen grinsend nebeneinander
Zu viel Zucker: Jedes dritte Kind ist übergewichtig.

Was raten Sie Eltern, deren Kinder bereits stark übergewichtig sind? Wie kommen die da wieder runter? 

Ich rate Eltern in diesen Fällen, sich gezielt Hilfe zu organisieren. Wir haben bei SIPCAN für Eltern einen „Adipositas Hilfe-Kompass” eingerichtet. Dies ist eine Datenbank mit über 250 Kontakten. Auf diese Weise können Eltern österreichweit fachkundige Hilfe in ihrer Nähe finden.

 

Unterscheiden Sie bei Ihren Empfehlungen zwischen Kindern und Erwachsenen? Ist für Kinder etwas anderes gesund als für Erwachsene?

Die Ernährungsempfehlungen für Erwachsenen und Kindern unterscheiden sich vor allem in Hinblick auf die Kohlenhydrataufnahme. Für Kinder werden fünf Portionen pro Tag empfohlen, also um eine mehr als für Erwachsene.

 

Ihre Empfehlungen, die einfach umzusetzen sind und am meisten Wirkung bei Kindern erzielen?

Kinder sind in der Regel mit sehr einfachen Gerichten zufrieden. Da reichen auch schon aufgeschnittene Cocktailtomaten oder Paprikaringe. Meine Empfehlung an Eltern ist immer, mit den Kindern zu reden und sich Speisen auf einen Plan zu schreiben. So entsteht eine immer größer werdende Auswahl, die nicht nur die Kinder gerne essen, sondern die auch für uns Erwachsene zur Routine werden.

Wir Erwachsenen sollten, wenn möglich, gemeinsam mit den Kindern essen. Einerseits ist der soziale Aspekt für Kinder sehr wichtig und andererseits orientieren sich Kinder beim Essen an uns Erwachsenen. Wenn die Kinder also sehen, dass uns Erwachsenen das Gemüse schmeckt, ist die Chance größer, dass auch sie zugreifen werden.

Des Weiteren empfehle ich allen, immer auf die Portionsgröße von Speisen und Getränken zu achten. Wie immer mehr Studien zeigen, ist die Portionsgröße ein zentraler Schlüssel für ein gesünderes Essverhalten. Machen Sie die Portionen für Lebensmittel, die als eher ungesund eingestuft werden, möglichst klein und für gesunde Lebensmittel möglichst groß. Besonders für süße Getränke spielt die Portionsgröße eine wichtige Rolle. 

 

Ein kleines Kind isst Spinat und verteilt diesen auf seinem Gesicht
Schlüssel für gesundes Essverhalten: größere Portionen für gesunde Speisen

Was sagt die Forschung zu Zuckerersatz-Produkten? Ermöglichen sie Genuss ohne Reue?

Zucker durch Zuckerersatz-Produkte wie Süßstoffe oder Zuckeralkohole zu ersetzen, ist keine gute Idee. Die Forschung liefert immer mehr Anhaltspunkte, dass Zuckerersatzprodukte das Risiko für verschiedenste Erkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes oder Übergewicht deutlich erhöhen. Es ist klüger, gezielt weniger Zucker zu sich zu nehmen. Dabei hilft zum Beispiel unser SIPCAN-Zucker-Check. In dieser kostenlos zugänglichen Online-Datenbank bzw. unserer App können über 2.500 Produkte kontrolliert werden. Das erleichtert beim Einkauf die gesündere Wahl.

Welche Lebensmittel gehypt und welche verdammt werden, verändert sich. Welche sind die größten Ernährungsmythen, die nicht mehr durch wissenschaftliche Erkenntnisse gedeckt sind?

Ein Mythos, der sich gerade verändert, ist das „gesunde“ Glas Rotwein. Lange Zeit galt ein moderater Rotweinkonsum als Geheimnis für ein geringeres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Doch zeigen immer mehr Studien, dass Alkohol die beste Wirkung auf die Gesundheit hat, wenn er überhaupt nicht konsumiert wird. Dieser Mythos löst sich also gerade auf.

Ein Mythos, der sich ebenfalls hartnäckig hält, ist, dass die von Kindern gerne getrunkenen Eistee-Getränke deutlich mehr Zucker als Limonaden enthalten. In den letzten 10 Jahren hat sich der Zuckergehalt von Eistee-Getränken aber so massiv reduziert, dass sie um die 40 Prozent weniger Zucker als klassische Limonaden enthalten und auf dem Niveau von gespritzten Fruchtsäften liegen. Trotzdem sind auch Eistee-Getränke ein Genussmittel. Wasser bleibt der Durstlöscher Nummer Eins. Wer sich für den Zuckergehalt in Getränken interessiert, kann sich bei uns über 500 Getränke informieren. 

 

Die „Glukose Goddess” Jessie Inchauspé machte in den letzten Jahren stark von sich reden. Sie sagt, es komme nicht nur darauf an, was wir essen, sondern auch, in welcher Reihenfolge. Sie rät, kurz gesagt: Salat und Gemüse zuerst, Kohlenhydrate zuletzt. Stimmt das mit Ihren Erkenntnissen überein?

Diese Empfehlung hat einen ganz einfachen Grund, der als überproportional wichtig und als vermeintliche Neuerung dargestellt wird. Während die Eiweiß- und Fettverdauung primär im Magen startet, beginnt diese für Kohlenhydrate bereits im Mund und wird im Dünndarm fortgesetzt. Werden nur Kohlenhydrate oder Kohlenhydrate als erstes gegessen, gelangen diese relativ schnell in den Dünndarm und von dort ins Blut. Dadurch kann der Blutzuckerspiegel relativ schnell ansteigen.

Werden Kohlenhydrate zum Beispiel mit Eiweiß und Fett kombiniert, verweilen diese länger im Magen, die Aufnahme im Dünndarm verzögert sich und der Blutzuckerspiegel steigt langsamer an. Die Empfehlung sollte aus meiner fachlichen Sicht also weniger auf die Reihenfolge als vielmehr auf die Kombination abzielen. Eine Laugenbrezel zwischendurch ist also weniger klug als ein Korngebäck mit Käse. 

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