Seit mehr als 30 Jahren setzt sich ARCHE NOAH für die Kulturpflanzenvielfalt ein. Die Obfrau des Vereins erzählt uns, warum die Bewahrung von Obst- und Gemüsesorten wichtig ist und wie das geht.
ARCHE NOAH bewahrt und entwickelt Saatgut von gegenwärtig circa 5.500 gefährdeten Kulturpflanzen und verkauft es an Gärtner und Landwirte. Mit 50 hauptamtlichen Mitarbeitern und zahlreichen ehrenamtlichen Helfern ist es eine der größten Organisationen dieser Art in Europa. Obfrau Christine Jasch erzählt uns im Interview, wie alles anfing, wofür sich der Verein einsetzt und was Hobbygärtner in Österreich besonders gern anpflanzen.
Christine Jasch ist Volkswirtin, Steuerberaterin, Umweltwissenschaftlerin und Nachhaltigkeitsexpertin. Sie besitzt selbst einen Demeter-Garten, in dem sie biodynamisch Lebensmittel anbaut und von der Saat bis zur Verarbeitung begleitet. Seit vielen Jahren engagiert sie sich im Verein „ Arche Noah” für die Erhaltung der Kulturpflanzenvielfalt und ist seit März 2021 Obfrau des gemeinnützigen Vereins.
Frau Jasch, ARCHE NOAH gibt es bereits seit 1990. Wie fing alles an?
Christine Jasch: Schon vor 40 Jahren wurde bei uns in Österreich auf nachhaltige Lebensmittel gesetzt. Bio-Produkte gab es schneller als in anderen europäischen Ländern im Supermarkt. Wir haben da einfach ein anderes Bewusstsein. Das hängt auch mit unserer Topografie zusammen. Wir haben viele Berge und da ist der industrielle Anbau in der Landwirtschaft in einem Maßstab wie in den USA gar nicht möglich. Dies waren die Grundvoraussetzungen, als vor über 30 Jahren ARCHE NOAH entstand. Damals kamen immer mehr standardisierte Hybridsorten von der Saatgut-Industrie auf den Markt, die nicht vermehrt werden konnten. Die einheimischen Sorten wurden dadurch zurückgedrängt. Der Grundgedanke war, die einheimischen Sorten zu erhalten. Unser Fokus lag auf den Obst- bzw. Nutzpflanzen. Es ging uns von Anfang an darum, die Vielfalt auf den Äckern und Tellern zu bewahren.
Warum ist die Kulturpflanzenvielfalt wichtig?
Das hängt sehr mit der Veränderung der klimatischen Bedingungen zusammen. Die Temperaturen steigen und so kommen auch neue Schädlinge. Es ist wichtig, einen Bestand an Kulturpflanzen zu haben, der gegen Schädlinge resistent ist. Hierfür bedarf es eines Pools an genetischer Vielfalt, der mit den klimatischen Veränderungen mithalten kann. Seit dem Jahr 1900 haben wir ungefähr 75 Prozent unserer Kulturpflanzen verloren. Weltweit gibt es schätzungsweise 30.000 Kulturpflanzen. Doch nur neun Pflanzenarten machen 75 Prozent der globalen Erntemenge aus.
Nach welchen Kriterien werden die Samen für das Archiv gesammelt?
Am Anfang lag der Schwerpunkt auf gefährdeten Gemüsesorten. In einem zweiten Schritt wurden Kartoffel-, Mais- und Getreide-Sorten in die Sammlung aufgenommen. Ein wichtiges Kriterium ist die regionale Herkunft. Die meisten Samen stammen aus Mittel- und Südosteuropa. Es geht uns darum, die Pflanzen zu erhalten und diese in die Äcker und Gärten sowie auf die Teller zu bringen.
ARCHE NOAH bietet auch Kurse und Seminar an. Wer besucht diese Kurse und was wird dort vermittelt?
Die Kurse werden von AnfängerInnen über ambitionierte HobbygärtnerInnen bis hin zu professionellen LandwirtInnen besucht. Wir möchten die Angst davor nehmen, etwas Neues auszuprobieren. Es geht nicht nur darum, Raritäten anzupflanzen. Es geht auch um die Freude, das Saatgut zu verwerten, den Kreislauf der Natur besser zu verstehen. In den letzten beiden Jahren war das Abhalten der Kurse wegen Corona etwas kompliziert. Wir haben aber während der Pandemie ein gestiegenes Interesse am eigenen Garten und nachhaltiger Ernährung bemerkt. Es gab auch beispielsweise eine erhöhte Nachfrage in unserem Webshop beispielsweise nach Balkonpflanzen.
Was sind die Dauerbrenner im Webshop? Welche Samen verkaufen sich besonders gut?
In einigen Regionen Österreichs haben wir einen eigenen Namen für Tomaten: Paradeiser. Das zeigt schon, dass wir einen besonderen Bezug zu diesem Obst haben. Und die Paradeiser-Samen sind auch bei uns im Webshop der absolute Favorit. Wir bieten da viele unterschiedliche Sorten an, die auch optisch sehr ansprechend sind. Insgesamt haben wir ungefähr 600 verschiedene Paradeiser-Sorten. Für 330 Sorten haben Patinnen und Paten die Patenschaft übernommen und unterstützen so deren Erhalt.
Jeder, der einen Garten hat, weiß, dass das Einlagern von Samen eine Herausforderung ist. Wie machen Sie es?
Saatgut wird bei uns luftdicht in größeren Flaschen gelagert. Diese sehen aus wie ein leeres Marmeladenglas mit einem Flaschenhals. Sie werden beschriftet, dokumentiert und in einer Datenbank gespeichert. Die meisten Sorten lagern ungefähr zwei bis drei Jahre, manche auch vier Jahre. Danach nimmt die Keimfähigkeit der Samen ab. Weil aber nicht alle 5.500 Sorten innerhalb von vier Jahren erneuert werden können, haben wir heuer eine neue Gefrierkammer eröffnet. Hier lagern wir jetzt mehr als 5.000 Sorten. Das reduziert den Kostenaufwand, weil wir die Vermehrungszyklen etwas strecken können. In der Kammer halten sich die Samen ca. acht bis zehn Jahre. Dann muss das Saatgut wieder vermehrt werden. Die Vermehrung wird nicht nur von uns und unseren ehrenamtlichen MitarbeiterInnen übernommen. Wir haben auch einen Pool an GärtnerInnen und LandwirtInnen, die die Verantwortung für eine Sorte übernehmen und sie vermehren. Die neuen Samen werden dann an uns zurückgeschickt, von uns geprüft und wieder eingelagert.
Die Arche Noah betreibt auch politische Arbeit. Wie sieht diese aus?
Unsere Hauptthemen in der politischen Arbeit sind Saatgut und Patentrecht. Wir fordern, dass keine Patente auf Saatgut erhoben werden, sodass man selbst Saatgut weiterverwerten kann. In den vorhandenen Gesetzestexten gibt es viele Schlupflöcher, weswegen das Europäische Patentamt auch Patente auf traditionelle Züchtungen erteilt – meistens an große Saatgutkonzerne. Ein weiteres Thema ist das generelle Saatgut-Recht: Unserer Ansicht nach muss es weiterhin möglich sein, Saatgut in kleinem Rahmen zu vermehren und zu verkaufen. ZüchterInnen und LandwirtInnen müssen freien Zugang zu Saatgut haben, um Pflanzen an neue Bedingungen, wie z.B. klimatische Veränderungen, Krankheiten oder Schädlinge anpassen zu können. So bleibt die Biodiversität erhalten.