Wüstenrot Homestory Gutenstein Handwerks-Startup „Wohnwagon“ Theresa Steininger
Mein Zuhause

Leben im autarken Dorf: Theresa Steininger ist dem guten Leben auf der Spur

Mit ihrem Startup Wohnwagon versucht Theresa Steininger eine Antwort auf die Frage zu geben, wie man gut lebt. Ende 2018 ist sie mit ihrem Team ins niederösterreichische Gutenstein gezogen, um dort ihr Vorzeigedorf für alle erlebbar zu machen.

Lesedauer: 6 Min.

Seit der Einfahrt ins niederösterreichische Gutenstein im Bezirk Wiener Neustadt ist uns gerade einmal ein Traktor entgegengekommen. Kein Mensch ist zu sehen. Selbst der Bahnhof im Zentrum wirkt wie ausgestorben. Ruhig ist es in Gutenstein. In ganz Gutenstein? Im ehemaligen Gasthaus „Gutensteiner Hof” herrscht reger Betrieb: In der Gaststube besprechen zwei Männer Baupläne. Im Nebenraum tippt ein anderer emsig in den Computer. Mittendrin sitzt Theresa Steininger, Chefin des Handwerks-Startups Wohnwagon, das seit sechs Jahren mit seinen autarken Tiny Houses für Aufsehen sorgt.

Es war kein Zufall, der die 28-Jährige und ihre Mitarbeitenden nach Gutenstein geführt hat. Vielmehr ist es das Resultat einer Entwicklung, die im Oktober 2012 begann. Damals trat Handwerksunternehmer Christian Frantal mit einer Idee an die gebürtige Kremserin heran, die ihn mit zwei Kollegen als Marketing-Agentur betreute: Ein Wohnwagon aus natürlichen, regionalen, oft recycelten Rohstoffen sowie einem autarken Wohnkreislauf sollte entstehen. Steininger gefiel die Idee, sie übernahm die Geschäftsführung der neuen GmbH und kümmerte sich um den Vertrieb sowie die Kundenbetreuung. Frantal war für den technischen Bereich zuständig. Die Finanzierung kam von 100 Einzelinvestoren, die mehr als 70.000 Euro zur Verfügung stellten. Wohnwagon war damit das erste erfolgreiche Crowdinvestment-Projekt Österreichs.

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Tiny-House-Liebe: Seit 2012 arbeitet Theresa Steininger an der Entwicklung natürlicher Wohnwagons. © Wüstenrot/marcelkoehler.com

Oskars Geburt

„Wir sind bei der Prototyp-Entwicklung mit einer völligen Unterfinanzierung gestartet“, erzählt Theresa Steininger lachend von den Anfangshürden. „Als wir fast kein Geld mehr hatten, keine Maschinen, keine Werkstatt, kamen technische Probleme mit dem runden Gründach aus den ersten Renderings dazu. Es hatte nicht genug Aufnahmefläche, um als Kanalersatz das Wasser aus Dusche oder Toilette zu reinigen. Der Prototyp funktionierte nicht.“ Was für andere das Ende des Unterfangens bedeutet hätte, konnte Wohnwagon für sich nutzen: „Wir wollten uns nicht so leicht geschlagen geben“, reflektiert die Niederösterreicherin, die in ihrer Jugend ein Schülerfernsehen und ein Kulturfestival in ihrem Heimatort mitaufgebaut hat. „Statt uns ins Schneckenhaus zurückzuziehen, haben wir öffentlich über unsere Probleme gesprochen. Plötzlich hat sich ein Zimmerer aus Pernitz gemeldet, der das Dach kostenlos für uns abgerissen hat.“ Dies war nicht nur der Startschuss einer Zusammenarbeit – Prototyp „Oskar“ war gerettet!

Zahlreiche Auszeichnungen und Medienberichte später, hat Oskar mehr als 50 Geschwister in Deutschland, Österreich und der Schweiz bekommen. Ob als Gaststätte, Erweiterung des Elternhauses, Ferienresidenz oder Hotelzimmer  – kein Wohnwagon gleicht dem anderen. Die Tiny Houses unterscheiden sich nicht nur in Ausführung und Einsatzbereich, je nach Autarkiegrad bezüglich Wärme, Energie und Wasser, Größe sowie Ausstattung variiert auch der Preis: Zwischen 100.000 und 170.000 Euro kosten die Designerstücke von Wohnwagon. „Man kann natürlich auch deutlich günstiger bauen“, weiß Steininger als Tochter eines Bauleiters und einer Buchhalterin. „Aber wir setzen auf eine sehr langlebige Bauweise mit ganzjähriger Nutzung und Erfüllung der Bauvorschriften – inklusive autarkem Versorgungssystem.“

Wie Letzteres funktioniert und was es dazu braucht, das gibt Wohnwagon in Workshops sowie ihrem Magazin „Oskar“ an Selbermacher weiter. Im Webshop des Unternehmens findet sich außerdem von der Bio-Toilette bis zu Dämmmaterialien alles, was das Bastler-Herz erfreut. Der vergleichsweise erschwingliche Preis, die Flexibilität und das damit verbundene Lebensgefühl sind die ausschlaggebenden Gründe, weshalb Tiny Houses aktuell so gefragt sind – ganz nach dem Motto: Simplify your life („Vereinfache dein Leben“). Der Vorteil: Bereits zu einem kleinen Preis lässt sich ein individuelles Zuhause gestalten. Das macht das Wohnmodell auch für Studierende und Berufseinsteiger attraktiv.

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Die Idee im Vordergrund: Neben kompletten Tiny Houses verkauft Wohnwagon auch passende Bauteile. © Wüstenrot/marcelkoehler.com

Puzzlesteine des guten Lebens

Längst steht das weiße „W“ des Wohnwagon-Logos nicht bloß für autarke Tiny Houses, sondern für eine Einstellung: Was brauchst du für ein gutes Leben? – so lautet für die Firmenchefin, die nebenbei ein Masterstudium „Unternehmensführung“ durchgezogen hat, die zentrale Frage. Nachwachsende Baustoffe wie Holz oder Hanf, autarke Kreisläufe wie Solarstrom, Reduktion aufs Wesentliche – ihre Antworten haben sich aus der Arbeit an den kleinen Wohneinheiten wie von selbst ergeben. Dabei spielt die Nutzung von Photovoltaik eine entscheidende Rolle, um das Prinzip der Autarkie zu verwirklichen, wie in einem unserer Beiträge ausführlicher dargelegt wird.Damit nicht genug: „Entstanden ist die Idee zum Wohnwagon aus dem Wunsch nach Freiheit“, sagt Steininger, deren Unternehmen seit Anfang 2017 als Baumeisterbetrieb anerkannt ist. „Was uns sehr berührt hat: Unsere Kunden nutzen diese Freiheit, um wieder mehr in Beziehung und Austausch zu treten – und bauen mit ihren Wohnwagons stets kleine Strukturen auf, Mini-Dörfer mit Nachbarn, Familien, Freunden. Sie haben uns gezeigt, wie erfüllend dieses Leben in einer Gemeinschaft sein kann, in der jeder seine individuellen Freiheiten hat und sich dennoch bewusst dafür entscheidet, wieder mehr gemeinsam zu machen.“ Ihre Schlussfolgerung: Vielleicht liegt ja darin ein weiterer Puzzlestein des guten Lebens.

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„Entstanden ist die Idee zum Wohnwagon aus dem Wunsch nach Freiheit“, sagt Steininger. © Wüstenrot/marcelkoehler.com

Wohnwagon in der Sommerfrische

Was sich im Kleinen des Wohnwagons gezeigt hat, soll in Gutenstein im Großen erprobt werden: „Herzlich Willkommen bei Wohnwagon“ heißt es deshalb seit Kurzem am Eingang zum Gutensteiner Hof. Ende 2018 ist das Büro des Handwerks-Startups ins leerstehende Gebäude übersiedelt. In der fünf Gehminuten entfernten ehemaligen „Nagelfabrik“ wiederum wird seither an drei bis vier Tiny Houses gleichzeitig gebaut. Neben den Arbeitsplätzen hat der Großteil der 28 Mitarbeitenden auch seinen Wohnsitz in die frühere Sommerfrische-Destination verlegt. So wie Theresa Steininger und ihr Freund, der ebenfalls bei Wohnwagon tätig ist, von Wien aufs Dorf gezogen sind. Noch leben die beiden wie die meisten in den oberen Geschossen des Gutensteiner Hofs. Demnächst wird ein Teil der Belegschaft ins alte Rathaus ziehen, andere werden einer verlassenen Villa neues Leben einhauchen. „Dazwischen ist auch Platz für den einen oder anderen Wohnwagon“, fügt Steininger hinzu. Neue Gebäude hingegen sind weniger geplant, vielmehr möchte man den Leerstand der Absiedlungsregion nutzen.

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Flexible und naturnah: Durch den autarken Aufbau lassen sich Tiny Houses auch in die Wildnis stellen. © Wüstenrot/marcelkoehler.com

Letzterer war einer der Gründe, die für den Standort im Piestingtal gesprochen haben. „Wir wollten keine grüne Wiese“, erklärt die sportliche junge Frau. „Wir wollten auf Bestehendes aufbauen und uns in eine Gemeinschaft einklinken.“ So wie die leerstehenden Gebäude des Luftkurorts soll nämlich das gesamte Dorf samt regionaler Wirtschaftskreisläufe wiederbelebt werden. Auf den Feldern wird Gemüse angebaut, Holz kommt aus dem Wald, und die Dorfbewohner kaufen ihr Brot beim Bäcker des Orts. Was in den vergangenen Jahren durch die zunehmende Landflucht vielerorts in Vergessenheit geraten ist, das soll in Gutenstein wieder auferstehen und gefördert werden. Zuständig dafür ist eine Genossenschaft. Diese ist zwar von Theresa Steininger und Mitgliedern des Wohnwagon-Teams gegründet worden, aber nicht auf diese beschränkt. Jeder der rund 1.300 Gutensteiner kann genauso Mitglied werden, wie andere Interessierte. „Die Genossenschaft bietet die Möglichkeit, sich aktiv einzubringen und selbst mitzugestalten“, erklärt Steininger. Mehr als 40 Personen hätten sich bereits gemeldet, die ersten Beete des Gemeinschaftsgartens, den die Genossenschaft auf fünf Jahre angemietet hat, sind angelegt. Mit einem Landwirt, zwei Tischlern und einem Koch sind außerdem neue Dorfbewohner gefunden worden, die sich in Gutenstein selbstständig machen wollen. „Alles geht gut voran“, freut sich die Initiatorin.

Auf dem Weg zum „Vorzeigedorf“

Ein wichtiger Meilenstein konnte im Februar 2019 erreicht werden: Über einen gemeinschaftlichen Vermögenspool stellten Investoren 300.000 Euro für den Kauf des Gutensteiner Hofs zu Verfügung. Das ehemalige Gasthaus gegenüber vom Bahnhof soll künftig nicht nur das Büro und den Shop von Wohnwagon beherbergen. Geht es nach Theresa Steininger soll daraus eine „Homebase“ und ein „vibrierendes Zentrum für Autarkie und Wissensaustausch“ entstehen. Von Coworking-Spaces über Veranstaltungsräume bis zu Hostelzimmern – Ideen gibt es zuhauf. Auch die Gastronomie soll wiederbelebt werden. Eine „Haus-Oma“ Agnes ist bereits gefunden; im Sommer 2019 sollen die ersten Teilbereiche eröffnet werden.

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„Ich schaffe mir hier die Welt, wie ich sie haben möchte“, sagt Steininger über Gutenstein. © Wüstenrot/marcelkoehler.com

„Ich möchte Gutenstein Schritt für Schritt zu einem Vorzeigedorf machen“, lautet Theresa Steiningers langfristige Vision. „Wohnwagon schafft in den nächsten fünf Jahren hoffentlich den Sprung zum guten mittelständischen Betrieb. Dann wünsche ich mir, dass ich mich zurückziehen und verstärkt in Dorfinitiativen einbringen darf“, sagt sie und fügt hinzu: „Bei mir steht auch Familie an.“ Dass sie ihre Kinder in Gutenstein großziehen möchte, versteht sich von selbst. Ja, mehr noch: „Ich kann mir vorstellen, hier in Pension zu gehen“, erklärt die junge Frau nachdenklich, denn: „Ich schaffe mir hier die Welt, wie ich sie haben möchte. Bis es soweit ist, gibt es aber noch ein bisschen etwas zu tun...“

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