Sebastian Stricker hat mit share bereits sein zweites Hilfsprojekt gegründet. Er will nichts weniger, als den Hunger aus der Welt schaffen. Er gibt zu, ein Optimist zu sein.
(Artikel aus 2019)
Andere schwärmen von Mallorca oder den Malediven. Sebastian Stricker schwärmt von Liberia. Es gehört nach dem verheerenden Bürgerkrieg von 1989 bis 2003 immer noch zu den ärmsten Ländern der Welt. Doch Sebastians Blick auf das Land an der westafrikanischen Atlantikküste ist kein touristischer. Er sieht die Fortschritte, die Liberia in den vergangenen Jahren gemacht hat, beim Wiederaufbau der einst zerstörten Infrastruktur und bei der Verbesserung der Lebensumstände der Menschen. Das macht ihn glücklich: „Es stimmt einfach nicht, dass nichts besser wird“, sagt er. „Wenn man die richtigen Projekte angeht, mit dem richtigen Engagement, im richtigen Setup, mit der richtigen Finanzierung und einer Portion Glück, dann geht das auch. Es ist keine hoffnungslose Situation.“
Die Überzeugung, etwas bewirken zu können, treibt Sebastian an. 2014 gründete er gemeinsam mit Bernhard Kowatsch ShareTheMeal. Das Social Startup betreibt eine App, mit der Menschen per Klick auf dem Smartphone eine Mahlzeit mit einem hungernden Kind teilen können. Für nur 40 Cent kann ein Kind für einen Tag ernährt werden. Die Vereinten Nationen fanden die Idee so gut, dass ShareTheMeal inzwischen Teil des Welternährungsprogramms geworden ist. Mehr als 33,4 Millionen Mahlzeiten wurden über die App schon geteilt. Ein ähnliches Prinzip verfolgt Sebastian auch bei seinem neuesten Projekt share: Für jedes verkaufte Produkt der Marke wird gleichzeitig einem Menschen in Not geholfen. Jeder Bio-Nussriegel spendet eine Portion Essen, jede Handseife ein Stück Seife und jede Flasche Wasser einen Tag Trinkwasser.
„Es war immer mein Traum, international zu arbeiten“, sagt Sebastian, der 1982 in Wien zur Welt kommt und zuerst im 19. und dann im 14. Bezirk aufwächst. Sein Bruder ist acht Jahre jünger als er. „Die Idee des Teilens geht auf kein besonderes Ereignis in meinem Leben zurück“, sagt Sebastian. Allerdings habe ihn der Heilige Martin, der seinen Mantel mit einem Bettler teilte, schon früh beeindruckt. „Ich finde die Idee stark, dass man aufeinander aufpasst und Leuten hilft, denen es nicht so gut geht.“ So habe das auch seine Familie vorgelebt.
Ich wollte eine Tätigkeit, bei der ich mich nicht fragen muss, ob sie sinnvoll ist.
Sebastian studiert Wirtschaft in Wien, danach Politikwissenschaften. Seinen ersten Job hat er bei einer Unternehmensberatung. „Nach dem Studium erschien mir das als eine sehr attraktive Option“, erzählt Sebastian. Nach vier Jahren wird ihm klar, dass ihn die Arbeit nicht ausfüllt. Er nutzt die Gelegenheit, eine Position bei der Clinton-Stiftung zu übernehmen. „Ich hatte Lust auf Abenteuer, ich wollte ins Ausland, ich wollte Afrika sehen“, sagt Sebastian. „Und ich wollte eine Tätigkeit, bei der ich mich nicht fragen muss, ob sie sinnvoll ist. Ich wusste, selbst wenn es mir nicht gefällt, habe ich meine Zeit nicht vergeudet.“ So sieht Sebastian das auch heute noch.
Für die Clinton-Stiftung geht er nach Tansania, leitet das Malaria-Projekt in Daressalam. Dann übernimmt er eine ähnliche Rolle beim Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen. Auch hier ist er viel unterwegs, vor allem in West-Afrika. Das viele Reisen erweitert den Horizont, meint Sebastian. Er lernt andere Lebensumstände kennen. „Man erlebt ganz unmittelbar, wie viel Glück manche Menschen haben mit dem Ort, wo sie geboren wurden. Wir gehören dazu und wir können überhaupt nichts dafür. Wir haben riesiges Glück, dass wir genug zu essen bekommen, wenn wir Kinder sind und dass wir studieren können“, sagt Sebastian. Er lernt dieses Glück zu schätzen.
Bei den Vereinten Nationen entwickelt Sebastian eine neue Idee. „Ich hatte immer ein großes Interesse an Gründungen und Innovationsprojekten und wollte auch schon zu Uni-Zeiten ein eigenes Projekt umsetzen“, sagt er. Mit ShareTheMeal macht er seinen Traum wahr. Der Auslöser ist die schockierende Erkenntnis, „wie billig es eigentlich ist, eine Person einen Tag zu ernähren, nämlich mit nur 40 Cent“, sagt Sebastian. Er sieht den Dokumentarfilm „Super Size me“, indem der Filmemacher im Selbstversuch dreimal täglich bei McDonald’s isst und jeweils eine extragroße Portion nimmt, wenn sie ihm angeboten wird. „Der Film hat mich sehr beeindruckt und ich dachte: Wäre es nicht schön, statt ,Super Size me‘ besser zu sagen: ,Share my Meal‘. Und man zahlt 40 Cent drauf, damit auch jemand anderer essen kann“, erzählt Sebastian.
Doch beim ersten Anlauf scheitert die Idee. Die Restaurants machen einfach nicht mit. „Das war eine riesen Enttäuschung“, sagt Sebastian. Aber er gibt nicht auf. „2014 waren Apps plötzlich eine ganz große Sache. Also dachte ich, man könnte es mit dem Handy machen und eine Mahlzeit einfach per Klick am Telefon teilen.“ Er lässt sich von den Vereinten Nationen freistellen und gründet ShareTheMeal in Berlin. Warum Berlin? „Das ist eigentlich mehr ein Zufall gewesen, weil wir vom Axel Springer Accelerator unterstützt wurden.“ Der Accelerator ist eine Art Brutkasten, in dem der deutsche Medienkonzern Axel Springer junge Firmen in der Gründungsphase mit Geld und Know-how unterstützt.
„Der chronische Hunger in der Welt könnte mit genug Geld beendet werden“, davon ist Sebastian überzeugt. Und er arbeitet daran. 2016 verlässt er ShareThe Meal, um share zu gründen. „Das Team von ShareTheMeal hat eine andere Person gebraucht als mich“, sagt er. „Mir macht es am meisten Spaß, etwas Neues aufzubauen. Management ist nicht mein großes Talent, da gibt es andere, die das besser können.“ Seit er nicht mehr bei ShareTheMeal ist, gehe es dem Projekt besser, sagt er augenzwinkernd.
Ein eigenes Büro hat Sebastian nicht. Ganz wie in Startups üblich, sitzt er an einem spartanischen Schreibtisch mitten im Großraumbüro in einem alten Fabrikgebäude in einem Kreuzberger Hinterhof. Das Team von share ist inzwischen auf 30 Leute angewachsen. Die Team-Mitglieder entscheiden mit, in welche Hilfsprojekte das Geld fließt. Umgesetzt werden die Projekte von Partnern, wie etwa den Vereinten Nationen, den Tafeln Deutschland, der Caritas oder der Welthungerhilfe. „Wir arbeiten mit Partnern, die die nötige Erfahrung und Fähigkeit haben, die Projekte gut umzusetzen“, sagt Sebastian.
Natürlich versichert sich Sebastian auch vor Ort, wohin das Geld fließt. Zum Beispiel in Brunnenbauprojekte in Liberia. In das Land hat er noch Kontakte aus seiner Zeit bei den Vereinten Nationen. „Es ist wichtig, dass wir die Projekte besuchen und schauen, was dort passiert“, sagt Sebastian. Auch Prominente unterstützen share dabei, die Idee bekannter zu machen. So waren zum Beispiel die YouTuberin Nilam Farooq und der Schauspieler Max von der Groeben bei der Projektreise nach Liberia dabei, Kostja Ullmann und Lisa-Marie Koroll begleiteten das share-Team nach Indien.
„Es ist mir wichtig, sagen zu können, dass mein Leben sinnvoll ist und ich es mit den Leuten verbringe, die ich liebe“, sagt Sebastian. „Ich schätze mein Team sehr. Es gibt mir die Kraft, das Projekt umzusetzen.“ Seine Vorbilder? Nelson Mandela, weil er an seine Sache geglaubt und nicht aufgegeben habe und weil er es geschafft habe, Leute zusammenzubringen. „Und, so platt es klingen mag: Elon Musk. Er ist bereit, große Risiken einzugehen und große Missionen zu verfolgen. Er ist nicht durch Geld motiviert, sondern er will Probleme lösen. Er redet nicht darüber, er macht es – auch mit dem großen Risiko, dass es vielleicht nicht funktioniert.“
Eine große Mission hat Sebastian auch. Den Hunger auf der Welt zu besiegen. „Es wäre wunderschön, wenn es gelingt“, sagt der 36-Jährige. Aber selbst, wenn es nicht gelinge, so könne man doch für sehr viele Leute das Leben verbessern. „Es ist besser, als nichts zu tun“, sagt Sebastian pragmatisch. „Ich kann mit diesen Projekten nicht verlieren. Im schlimmsten Fall hat es jemandem geholfen. Mein Anspruch ist allerdings die Projekte so zu bauen, dass sie das größtmögliche Potenzial entfalten.“ Sebastian ist mit Ehrgeiz und Leidenschaft dabei. „Ich möchte nicht meine Zeit vergeuden“, sagt er und dass er Angst hat, sich zu sehr auf seine Projekte zu konzentrieren und dabei vielleicht sein Privatleben zu vernachlässigen. Viel Zeit für Zweisamkeit haben er und seine Partnerin nicht. Die beiden haben sich bei den Vereinten Nationen kennengelernt. Sie ist mit humanitären Missionen in der Welt unterwegs – zuletzt auf Madagaskar und in Südafrika.
Ich bin Optimist.
Auch wenn es eine große Herausforderung sei, den Hunger aus der Welt zu schaffen. „Ich bin Optimist. Ich stehe absolut hinter der Mission. Ich habe mich nie fragen müssen, ob ich etwas mit Sinn mache. Oder, ob ich nicht besser etwas anderes machen sollte.“ Nur eines frage er sich manchmal, ob er es noch ein bisschen besser machen könne. Aber daran arbeitet er.