Familienvater Jan Kehlheim liebt das Gefühl des Abhebens. Paragliding ist seine Leidenschaft. Nie hätte er gedacht, dass ihm etwas passiert. Acht Wochen nach seinem Absturz steht er wieder auf den eigenen Beinen.
Als Jan Kehlheim (Name von der Redaktion geändert) früh morgens seinen roten Gleitschirm am Hang ausrollt, bläst der Wind schon ziemlich frisch. Nebenan auf der Wiese startet gerade ein anderer Mann mit seinem Schirm und Jan macht sich keine Sorgen. Er ist ein guter Sportler. Dem Paragliding ist er verfallen, seit er als 15-Jähriger das erste Mal erlebte, wie seine Füße den Boden verließen und der aufgeblähte Schirm ihn in der Luft hielt, als säße er auf einer sicheren Hand.
„Durchschnittlich verletzen sich 900 Menschen pro Jahr beim Gleitschirmfliegen so schwer, dass sie im Spital behandelt werden mussten.“
Auch dieses Mal geht beim Start alles gut. Schwerelos dreht er seine Kreise über der vertrauten Landschaft des Zeller Beckens. Er genießt das Gefühl der Freiheit, das ihn hier oben immer überkam, wenn der Alltag ganz weit weg ist. Der Himmel war sein zweites Zuhause. Eines, in dem er kein Bauleiter und kein Familienvater ist. Nichts deutet darauf hin, dass diese Freiheit heute in freiem Fall endet. Denn plötzlich überrumpelt ihn eine seitliche Böe. Sein Schirm rotiert und klappt plötzlich einfach in der Mitte ein. Der Notfallschirm klemmt und öffnet sich erst spät. Und das in 300 Metern Höhe.
Zum Glück rast Jan zuerst in einen hohen Baum, bevor er den Boden erreicht. Kurz vor seinem Aufprall denkt er an Bratkartoffeln. Seine beiden Kinder hatten sich gewünscht, dass er ihnen die zum Mittag macht, wenn er nach Hause kommt. Weil er das so viel besser kann als Mama. Bei der bekamen die Erdäpfel oft diese verbrannten, schwarzen Stellen. Dann endet Jans Fall mit einem Krachen und starken Schmerzen.
Menschen neigen dazu, andere für gefährdeter zu halten als sich selbst. Passieren kann immer was: Jährlich verunglücken in Österreich rund 850.000 Menschen durch Unfälle. Nur ein Prozent davon wird durch technisches Versagen verursacht. Laut Statistik werden rund 20 Prozent der Arbeitnehmer vor dem Rentenalter berufsunfähig. Doch nur jeder vierte Berufstätige hat derzeit ausreichend für den Notfall vorgesorgt.
„Das überlebt keiner“, denkt sich Reiner Oppenhaus, der den Aufprall beobachtet. Er sitzt selbst im Gleitschirm, als er den vor ihm gestarteten Mann in die Tiefe rauschen sieht. Auch Oppenhaus ist leidenschaftlicher Paraglider. Außerdem ist er Arzt in der nahegelegenen Klinik. Umgehend landet er bei der Unglücksstelle und sofort setzt seine Routine ein. Erster Blick: Der Mann am Boden stöhnt, ist aber bei Bewusstsein. Sein Körper wirkt verdreht. „Die Wirbelsäule!“, denkt der Arzt. Er streicht vorsichtig über Jans Fußsohlen. „Können Sie das spüren?“, fragt er laut. Jan stöhnt und deutet mit den Augen ein Nicken an. Also noch nicht gelähmt, weiß der Arzt. Doch jede falsche Bewegung könnte das ändern. Oppenhaus schafft es, den Verunglückten zu stabilisieren, ohne ihn zu drehen. Laien machen hierbei oft Fehler, die fatale Folgen haben. Bei den Kollegen in der Klinik fordert der Arzt einen Rettungshubschrauber an. Wenige Minuten nach dem Absturz ist Jan auf dem Weg in den Operationssaal.
„So sieht also Papas Glücksengel aus“, sagt der sechsjährige Henry, als er dem Chirurg im Krankenhaus einige Tage später gegenübersteht. „Ich bin doch nur ein einfacher Arzt“, lacht Oppenhaus. Aber Jans Lebensgefährtin, die mit beiden Kindern an der Hand in dem hellen Flur steht, weiß genau, dass das nicht ganz stimmt. Dank des schnellen Eingreifens von Oppenhaus wurde Jan fachgerecht versorgt und operiert. Drei gebrochene Wirbel haben die Operateure dabei mit speziellen Metallplatten ummantelt und mit Zement stabilisiert.
Einen Monat lang bleibt Jan in der Klinik und bewegt sich kaum. Vier Wochen lang macht er eine Reha. Der kleine Henry und seine achtjährige Schwester Clara kommen ihn oft besuchen und fragen: „Papa, wann kommst du endlich heim?“ Jan streicht ihnen dann vom Krankenbett aus über die Köpfe und ringt mit einem Kloß im Hals. Früher hat er nie wirklich daran gedacht, dass ihm etwas passieren könnte – und seine Familie dann ohne ihn dastünde. Jetzt spürt er den Schock darüber, wie verletzlich er als Mensch ist.
Nur acht Wochen nach seinem Absturz, den nur wenige Menschen so glimpflich überstehen, geht Jan Kehlheim wieder arbeiten. Im Büro sitzen ist dank der Reha kein Problem mehr. Und zu Hause bei seinen Kindern ist er dankbar, dass er so ein Glück hatte.
Zu oft vergessen wir, dass unsere Gesundheit nicht selbstverständlich ist. Ein plötzlicher Schicksalsschlag wie ein schwerer Unfall kann jeden treffen.
Bei den Angehörigen hinterlässt das nicht nur seelisch, sondern auch finanziell ein großes Loch. Wenn etwa Kreditraten nicht mehr bezahlt werden können, droht der Familie auch noch, ihr Zuhause zu verlieren. Auch aus diesem Grund ist private Vorsorge enorm wichtig.