Lisa Pfleger hatte vor elf Jahren den Mut, aufs Land zu ziehen und sich selbst zu versorgen. Mit ihrem „Experiment Selbstversorgung“ begeistert und inspiriert sie viele Menschen. Ihr Beispiel zeigt: Jeder kann sein Konsumverhalten nachhaltig verändern.
Es ist die Sehnsucht vieler Menschen, besonders jener, die in Großstädten leben: Der Hektik und dem Lärm entfliehen und raus aufs Land, in die Natur. Klare Luft, leuchtendes Grün und am Morgen von Vogelgezwitscher geweckt werden. Gerade in der gegenwärtigen Coronakrise und den vielen Einschränkungen des städtischen Lebens ist das eine verlockende Vorstellung. Lisa Pfleger, heute 31, hat sich diesen Traum erfüllt. Und zwar bereits vor elf Jahren. 2009 verließ sie mit ihrem damaligen Lebensgefährten Wien und zog auf einen Hof in Niederösterreich. „In Wien waren die Mieten einfach teuer. Wir wollten unsere Kosten reduzieren“, erinnert sich Lisa.
Doch sie wollten noch mehr. Sie wollten ausloten, wie weit sie es schaffen würden, sich selbst mit Lebensmitteln zu versorgen. Doch zu zweit fühlte sich das junge Paar auf dem Hof bald ein wenig verloren. Ihnen schwebte eine Landkommune vor. Also zogen sie weiter nach Tschechien, um dort das Kommunenleben mit zwei Gleichgesinnten zu versuchen. „Aber das funktionierte leider nicht mal ein Jahr“, sagt Lisa. „Die Sprachbarriere und die Abgeschiedenheit haben uns am meisten frustriert.“
Dann bot sich den beiden eine neue Chance. „Wir bekamen zufällig eine E-Mail mit dem Angebot: ein Haus mit großem Grundstück, das gegen Arbeit vermietet wird“, berichtet Lisa. Die beiden sagten zu und pachteten das 8.000 Quadratmeter große Grundstück im Südburgenland. Hier sollte ihr „Experiment Selbstversorgung“ endgültig starten. Sie lernten, wie anstrengend die Bodenbearbeitung sein kann und mit dem angebauten Gemüse der Saison zurechtzukommen: „Im Winter keine Tomaten zu essen, ist für mich kein Verzicht. Erst dadurch beginnt man zu experimentieren und entdeckt so wahnsinnig spannende Möglichkeiten.“ Lisa engagierte sich seit Jahren schon für Menschen- und Tierrechte, für Naturschutz und eine gesündere Umwelt. „Wir haben uns immer Gedanken über die Folgen unseres Konsums gemacht“, sagt Lisa. „Wir fragten uns: Wie kann man leben, ohne dies auf Kosten anderer zu tun? Auf Kosten der Natur, der Tiere oder der Kinder, die in Bangladesch Billig-T-Shirts zusammennähen.“
In Wien hatten sie schon erste Gehversuche unternommen. Auf einer kleinen Parzelle in einer Kleingartenanlage bauten sie Obst und Gemüse an. Doch im Hintergrund dröhnte der Straßenverkehr. „Irgendwann reichte uns der Kleingarten in der Stadt nicht mehr“, erinnert sich Lisa. Im Südburgenland war das Lebensgefühl anders. Hier gab es ein Wäldchen, eine Streuobstwiese, einen Kräutergarten und Gemüsebeete auf 400 Quadratmetern. Genug, um sich mit vielen frischen Lebensmitteln selbst zu versorgen.
Von Anfang an haben Lisa und ihr Lebensgefährte ihr „Experiment Selbstversorgung“ auf ihrer Webseite in einem Blog dokumentiert. All die Schritte, das Ausprobieren, die Rückschläge und die vielen kleinen und großen Erfolge. Zuerst schrieben sie es nur für Freunde und Verwandte auf, aber schon bald wuchs die Zahl ihrer Leser. Sie merkten, „dass es viele Leute gibt, die ähnlich denken wie wir“, erzählt Lisa. Dabei versuchten sie immer den Eindruck zu vermeiden, sie seien Aussteiger. „Wir wollen gar nicht aus dem System aussteigen, sondern aufzeigen, dass wir auch in unserem System anders, nachhaltiger und bewusster leben können“, erklärt Lisa. Sie ist selbstständig, zahlt Sozialversicherungsbeiträge. Aber ihre Lebenshaltungskosten haben sich, verglichen mit Wien, auf die Hälfte verringert.
Aber kann ihr „Experiment Selbstversorgung“ wirklich ein Vorbild für jeden sein? „Nein“, schüttelt Lisa den Kopf, „darum geht es mir auch gar nicht.“ Sie sieht sich nicht als Vorbild für jedermann, sondern als ein Beispiel, das viele Menschen inspirieren kann. „Man kann überall mit kleinen Schritten beginnen, auch in der Stadt. Kräuter ziehen auf dem Balkon und Brot selber backen,“ findet Lisa. Denn auch der Weg zur Selbstversorgung war für Lisa mitunter beschwerlich. „Es ist eine Entwicklung, die immer noch andauert“, wie sie betont. „Ich probiere jeden Tag neue Dinge aus, es ist eben ein Experiment!“ Zum Beispiel mixt sich Lisa selbst die Zahnpasta zurecht und hat sogar ein Jahr ohne Haarshampoo gelebt. Davon berichtet sie dann im Blog. Auch wenn ein Versuch scheitert.
Ihr Experiment ist eben auch eine Erkundungsreise und ein Wiederentdecken vergessener Fähigkeiten. Lisa glaubt, dass es sich lohnt, „an das Wissen, dass unsere Großeltern noch hatten“, anzuknüpfen. „Nicht nur, weil es oft Kosten spart, sondern weil es ein unvergleichliches Gefühl ist, in selbstgebackenes Brot zu beißen und den Tomaten beim Wachsen zuzuschauen“, schwärmt Lisa. „Ich bin jedes Mal aufs Neue begeistert!“
Lisa und ihr Lebensgefährte haben sich vor einigen Jahren getrennt. Lisa hat Haus und Grundstück im Südburgenland verlassen. Sie hat einen neuen Partner in Graz und lebt die meiste Zeit in einem umgebauten Zirkuswagen auf einer Wiese im Burgenland. Trotzdem wird das „Experiment Selbstversorgung“ weitergeführt, die Erfahrungen geteilt. Der Blog ist mittlerweile Teil des NANU-Magazins. Lisa verdient sich in einem Büroteilzeitjob etwas Geld hinzu und hat ihre ersten Bücher geschrieben: „Vegan, regional, saisonal“ und „Vegan Homemade“ – zwei Kochbücher mit einfachen Rezepten und Tipps für die gesunde Ernährung und ein bewusstes Leben.
Bücherschreiben hat Lisa als Ausgleich entdeckt, denn Selbstversorgung kann mitunter auch anstrengend sein. „Es ist manchmal schwere körperliche Arbeit“, gibt sie zu, „und es macht auch nicht immer nur Spaß. Trotzdem empfinde ich diese Arbeit, die eine Selbstversorgung mit sich bringt, als sehr sinnstiftend. Man kommt mit dem Wesentlichen in Berührung. Und es macht glücklich und stolz, etwas von Anfang bis Ende selber machen zu können.“